Die IAA Mobility 2025 zeigt deutlicher denn je, wie stark chinesische Hersteller in Europa auftreten. Gegenüber 2023 hat sich ihre Präsenz nicht nur zahlenmäßig, sondern auch inhaltlich erweitert: Vom Citycar bis zum Luxusvan decken sie ein breites Spektrum ab, vielfach mit Premium-Anspruch. Auffällig sind hohe Ladegeschwindigkeiten, große Reichweiten und ein vielfältiges Antriebsportfolio von BEV über REEV bis PHEV. Im Gespräch mit Nicola Borgo, Manager in der Automotive Practice bei Arthur D. Little, beleuchten wir, wie sich diese Entwicklung einordnet – und welche Chancen und Herausforderungen sich daraus für chinesische wie europäische Hersteller ergeben.
Gegenüber der letzten IAA ist die Präsenz chinesischer OEMs in Breite und Tiefe deutlich gewachsen: Die Zahl der Aussteller ist gestiegen und die abgedeckten Segmente reichen vom Microcar z.B. Linktour bis hin zu großen SUVs und luxuriösen Vans z.B. Xpeng – auch wenn einzelne Modelle (noch) nicht für den europäischen Markt vorgesehen sind.
Auffällig ist der ausgeprägte Premium-Anspruch vieler Hersteller, sowohl technologisch als auch in der Anmutung. Technologisch zeigt sich das in hoher Ladegeschwindigkeit, größerer Reichweite und einem breiten Antriebsportfolio – neben BEV auch REEV und PHEV – sowie in starkem Fokus auf Human-Machine-Interface. In der Anmutung dominieren (Kunst-)Leder, Captain Chairs und Bildschirme auch für die zweite Sitzreihe; Ausstattungsmerkmale, die bislang vor allem der europäischen Luxusklasse vorbehalten waren, finden sich inzwischen bereits in der chinesischen Mittelklasse.
Chancen und Herausforderungen für chinesische OEMs
Wo sehen Sie die größten Chancen, aber auch die größten Herausforderungen für chinesische OEMs beim weiteren Markteintritt in Europa?Beim Preis-Leistungs-Verhältnis und der Batterietechnologie sehen wir klare Chancen: Niedrigere Produktionskosten ermöglichen kaum schlagbare Preispunkte und damit ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Das ermöglicht zudem den Eintritt in Einstiegssegmente, aus denen sich europäische Hersteller teilweise zurückgezogen haben – sowohl mit Verbrennern als auch mit BEVs. In der Batterietechnologie erkennen wir Vorteile, insbesondere bei Ladeleistung und Reichweite – jeweils in Relation zu den Listenpreisen.Demgegenüber liegen die Schwächen eher auf der Produktportfolio- und Vertriebsseite. Ein konsequentes Produktportfolio-Management fehlt bei einigen Herstellern noch; auf der IAA wurden unter derselben Marke teils Fahrzeuge präsentiert, die nahezu dasselbe Segment adressieren, oder es werden sehr breite Portfolios ohne klaren Fokus gezeigt.Außerdem – neben Vertrieb und After-Sales, wo viele Newcomer aus den Fehlern der First Mover gelernt haben – bestehen aktuell Herausforderungen im Flottenkundengeschäft, vorwiegend bei Leasingraten und der Absicherung von Restwerten.
Stärken der europäischen Hersteller
Wie können deutsche und europäische Hersteller ihre Stärken – etwa bei Reichweite, Software und Infrastrukturvernetzung – erfolgreich kommunizieren?Auf der IAA haben die europäischen Hersteller gezeigt, dass sie Produkte entwickeln, die speziell auf die europäischen Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind – ein klarer Beleg für gutes Marktverständnis. Jetzt gilt es, Kundinnen und Kunden ins Fahrzeug zu bringen, damit sie Elektromobilität selbst erleben. Zudem bieten Kooperationen – etwa zwischen BMW und E.ON – rund um bidirektionales Laden und zur Integration in Home-Energy-Management-Systeme (HEMS) konkrete Ansatzpunkte, auf die sich europäische Anbieter fokussieren können.
Serientaugliche Fahrautomatisierung
Welche Rolle spielt die serientaugliche Fahrautomatisierung auf der Messe, und welche Anbieter sind hier besonders weit?Reine Anbieter für automatisiertes Fahren waren zwar präsent, die Erlebbarkeit der Technologie blieb jedoch begrenzt. Im Wesentlichen traten zwei Gruppen auf: Anbieter autonomer Shuttles und große ADAS-Zulieferer. Erstere zeigten überwiegend seit Jahren bekannte Konzepte; als echte Neuerung stach eher die Präsenz eines deutschen OEM mit Holon hervor – gelingt die kapitalintensive Industrialisierung und der Sprung in die Serie, könnte daraus eine Erfolgsgeschichte werden. Die zweite Gruppe – etwa Mobileye oder Momenta – präsentierte sich mit selbstbewussten Auftritten, adressierte jedoch primär Fachbesucher; für das breite Publikum blieb das Potenzial schwer greifbar.
Elektroplattformen als Wettbewerbsvorteil
Inwieweit beeinflussen neue Elektroplattformen mit skalierbarem und softwarebasiertem Ansatz die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Marken?Problematisch bleibt für die deutschen Hersteller die Kostenposition – insbesondere bei lokaler Produktion. Um bei BEVs, aber auch bei ICE, wettbewerbsfähig und profitabel zu sein, sind neue Ansätze erforderlich. Ein zentraler Hebel ist der konsequente Einsatz modularer Plattformen für möglichst breite Anwendungen. Plattformen sind zunehmend durch die E/E-Architektur bestimmt und konsequent auf den elektrischen Antrieb optimiert, mit geringerer Teilevielfalt und größeren, integrierten Baugruppen. Das steigert die Effizienz durch verkürzte Entwicklungszeiten und sinkende Entwicklungskosten. BMW und Mercedes haben hierfür vielversprechende, neue Beispiele präsentiert.
Zu Nicola Borgo
Nicola Borgo, Manager in der Automotive Practice bei Arthur D. Little, verfügt über mehr als neun Jahre Berufserfahrung in der Automobilindustrie. Seit drei Jahren ist er bei Arthur D. Little tätig, wo er überwiegend Unternehmen der Automobilindustrie in den Bereichen Strategie, Produktstrategie und Go-to-Market berät.