Die Elektromobilität ist längst mehr als ein Nischenthema. Gerade für Fuhrparks und Dienstwagenflotten stellt sich die Frage, wie sich Ladeinfrastruktur, neue Technologien und steigende Anforderungen an Nachhaltigkeit unter einen Hut bringen lassen. Albina Iljasov, Europachefin von XCharge, spricht im firmenauto-Interview über Chancen und Hürden beim Umstieg, den tatsächlichen Aufwand für Unternehmen und die Rolle neuer Technologien wie bidirektionalem Laden. "Es braucht nicht nur Technik und Infrastruktur, sondern vor allem ein grundsätzliches Umdenken", betont Iljasov. Warum Planungssicherheit, kluge Investitionen und ganzheitliche Konzepte jetzt entscheidend sind, lesen Sie im folgenden Gespräch.
Frau Iljasov, wie realistisch ist das Ziel der EU, Firmenflotten ab 2030 komplett zu elektrifizieren?
Ich halte das Ziel grundsätzlich für sehr ambitioniert, aber durchaus erreichbar – wenn Unternehmen jetzt den Kurs setzen. Studien zeigen, dass bis 2030 bereits rund 80 Prozent der Flottenbetreiber planen, zumindest partiell zu elektrifizieren. Große Unternehmen mit Dienstwagenflotten, insbesondere im öffentlichen Sektor, könnten das Ziel halten – vorausgesetzt, die infrastrukturellen und regulatorischen Rahmenbedingungen werden weiter verbessert und planbarer. Hier braucht es vor allem Information, skalierbare Lösungen und partnerschaftliche Begleitung beim Umstieg.
Was dabei häufig unterschätzt wird: Es braucht nicht nur Technik und Infrastruktur, sondern vor allem ein grundsätzliches Umdenken – in den Unternehmen und bei den Mitarbeitenden. Der Wandel hin zu elektrischen Flotten ist Teil einer größeren Entwicklung, bei der wir unsere Energie- und Mobilitätsnutzung ganzheitlich neu denken müssen.
Viele Unternehmen zögern beim Aufbau von Ladeinfrastruktur für ihre Flotten. Woran liegt das?
Kosten sind sicher ein Faktor – vor allem, wenn man nur die Anfangsinvestitionen betrachtet. Doch oft geht es um mehr als das: Der Wandel hin zur Elektromobilität bedeutet auch ein Umdenken in der gesamten Mobilitätsstrategie, und genau das sorgt bei vielen für Zurückhaltung. Die Elektromobilität ist für viele Unternehmen und Mitarbeitende immer noch Neuland – sie fühlen sich unsicher, weil ihnen Erfahrungswerte und technisches Wissen fehlen. Diese Unsicherheit führt dazu, dass Projekte aufgeschoben oder nur halbherzig begonnen werden. Die Hürden sind vielfältig: Hohe Anfangsinvestitionen und Unklarheit über die sogenannte TCO, also "Total Cost of Ownership" oder Gesamtkosten des Betriebs, hemmen Entscheidungen. Viele Unternehmen übersehen dabei mögliche Einsparungen durch den langfristigen Betrieb.
Es fehlt auch häufig an praxisgerechten Lösungen, zum Beispiel für Standorte mit limitierter Netzkapazität. Technologien wie die Net Zero Series (NZS) und unser neuestes Produkt GridLink erlauben schnelles Laden ohne Netzausbau – das senkt Hemmnisse. Zusätzlich gibt es wenig Unterstützung bei Planung, Abrechnung, Mitarbeiterintegration und Betrieb. Unternehmen brauchen ganzheitliche Konzepte – nicht nur Technik, sondern auch Beratung und Service. Diese Kompetenzen sind in den Unternehmen selbst wenig oder gar nicht vorhanden und müssen extern gesucht werden.
Welche Chancen bietet bidirektionales Laden speziell für Firmenflotten?
Im gewerblichen Umfeld, speziell bei Firmenflotten, bietet bidirektionales Laden im AC-Bereich künftig die Möglichkeit, Fahrzeuge zeitweise als dezentrale Energiespeicher einzusetzen. Wichtig im aktuellen Betrieb ist aber vor allem ein intelligentes Lastmanagement. Gerade bei Flotten mit gleichzeitigem Ladebedarf hilft das, Netzbelastung zu minimieren und Ladezeiten effizient zu koordinieren. Weitere neue Technologien, wie DC-Ladestationen mit integriertem Speicher (NZS und GridLink), bieten weitere ganz konkrete Vorteile: Durch die Kombination aus integriertem Batteriespeicher mit 233 kWh und einem moderaten Netzanschluss (z. B. 60 kW) ermöglichen sie schnelles Laden auch an Standorten mit begrenzter Netzverfügbarkeit – ganz ohne kostspieligen Netzausbau.
Besonders in Kombination mit Photovoltaikanlagen werden die NZS und GridLink zur Schlüsseltechnologie: Überschüssige Sonnenenergie kann in der Batterie gespeichert und später für Ladevorgänge genutzt werden. Zusätzlich unterstützt das System Battery-to-Grid-Funktionalität, um das lokale Stromnetz zu stabilisieren – etwa durch Entlastung in Lastspitzenzeiten.
Wie hoch ist der organisatorische und finanzielle Aufwand für Unternehmen beim Umstieg?
Der Aufwand ist sehr individuell – je nachdem, wie viel Wissen, Erfahrung und Motivation im Unternehmen bereits vorhanden sind. Unternehmen, die sich früh mit der Elektromobilität beschäftigt haben, tun sich deutlich leichter. Andere stehen vor einer grundlegenden Transformation, die Zeit, Ressourcen und sorgfältiges Veränderungsmanagement erfordert. Finanziell sollte man nicht nur die Anfangskosten betrachten, sondern den gesamten Lebenszyklus: Geringere Wartung, niedrigere Energiekosten und mögliche Förderungen führen bei durchdachter Planung oft zu einer positiven Gesamtbilanz – besonders bei Flotten mit hoher Auslastung.
Organisatorisch ist vor allem eines entscheidend: Konsequenz und Struktur. Unternehmen sollten frühzeitig externe Expertise einbinden, wenn intern noch keine Kompetenzen vorhanden sind – und parallel intern Know-how aufbauen. Der Wandel gelingt dann am besten, wenn operative Umstellung und strategischer Kompetenzaufbau Hand in Hand gehen.
Können Kooperationen wie Arval und Otovo beim Ausbau erneuerbarer Energien in Fuhrparks helfen?
Solche Angebote sind grundsätzlich sehr sinnvoll, weil sie den Zugang zur Elektromobilität für Mitarbeitende deutlich vereinfachen – insbesondere durch standardisierte, einfach buchbare Komplettlösungen. Sie nehmen Berührungsängste und senken die Einstiegshürde, was gerade im Alltag vieler Beschäftigter entscheidend ist.
Wichtig ist allerdings, dass solche Konzepte ganzheitlich gedacht sind – also nicht nur Hardware, sondern auch Installation, Energieoptimierung, Förderberatung und Abrechnung beinhalten. Nur dann entsteht ein echter Mehrwert für alle Beteiligten – Unternehmen, Mitarbeitende und Anbieter. Ein kleiner Nachteil kann sein, dass Nutzerinnen und Nutzer dadurch wenig direkten Bezug zur Technologie aufbauen. Das kann das dringend nötige Umdenken in Richtung aktiver Energienutzung etwas verlangsamen – denn wenn alles „mitgeliefert“ wird, entfällt häufig das aktive Auseinandersetzen mit Mobilitäts- und Energiethemen. Dennoch: Als Brückentechnologie sind solche Angebote extrem wertvoll – sie helfen dabei, Elektromobilität großflächig in den Alltag zu integrieren, und das ist aus meiner Sicht aktuell der entscheidende Schritt.
Welche politischen Rahmenbedingungen braucht es für Investitionen in Ladeinfrastruktur?
Förderprogramme sind in der Aufbauphase sinnvoll und haben geholfen, den Einstieg in die Elektromobilität zu erleichtern. Langfristig sollte die Wirtschaft jedoch so aufgestellt sein, dass sie auch ohne staatliche Hilfen tragfähig und wettbewerbsfähig funktioniert.
Was Unternehmen heute vor allem brauchen, ist Planungssicherheit – und dafür braucht es drei Dinge: Erstens klare und einheitliche Standards, etwa bei Lade- und Abrechnungstechnologien, Netzanschlüssen und regulatorischen Rahmenbedingungen wie THG-Quote oder Stromrückspeisung. Zweitens weniger Bürokratie, z. B. bei Genehmigungsverfahren für Ladeinfrastruktur oder Förderanträgen – viele Unternehmen scheitern nicht am Willen, sondern an der Komplexität. Und drittens langfristige Rahmenbedingungen, die Investitionen planbar machen – besonders im gewerblichen Bereich, wo Infrastrukturentscheidungen einen Zeithorizont von fünf bis zehn Jahren haben. Kurz: Die Politik muss die Rahmenbedingungen so setzen, dass Unternehmen mit möglichst wenig Unsicherheit agieren können – dann folgt die Investition oft ganz von selbst.
Über Albina Iljasov
Albina Iljasov ist Europachefin bei XCharge Europe und verantwortet die strategische Expansion sowie die Marktentwicklung in der Region. Mit fast einem Jahrzehnt Erfahrung in der Elektromobilitätsbranche bringt sie internationale Expertise und Engagement für klimaneutrale Mobilität durch innovative Ladeinfrastrukturlösungen mit.