Gestern waren es Werte wie 0 auf 100, die Höchstgeschwindigkeit oder der Preis. Doch wenn der Nachwuchs heute zum Autoquartett greift, macht er seine Stiche in anderen Kategorien. Neben der Reichweite und der Batteriekapazität ist das mittlerweile vor allem die Ladeleistung, denn gerade in den letzten Monaten ist beim Elektroauto ein Wettstreit darum entbrannt, mit wie viel Power die leeren Akkus wieder mit Strom versorgt werden können.
Hersteller überbieten sich bei Lade-Rekorden
Galten bis vor kurzem noch Werte jenseits von 250 kW als rekordverdächtig, kommen selbst auf große Stückzahlen ausgelegte Massenmodelle wie Mercedes CLA oder der neue GLC auf zum Teil deutlich mehr als 300 kW und der neue BMW iX3 kann sogar mit 400 kW laden. Unter den Europäern sind die Süddeutschen damit ganz vorne, aber in China lachen sie über sowas nur. Die Geely Tochter Zeeker verkauft ihre Autos bereits mit bis zu 480 KW, und XPeng hat mit dem Facelift für G6 und G9 auf 525 KW erhöht.
Megawatt-Laden: Showeffekt oder Zukunft?
Und nein, damit ist noch nicht Schluss. Batteriechampion BYD hat am Rande der IAA in München zum ersten Mal in Europa das Megawatt-Laden demonstriert. Während die Chinesen erst mal nur Show gemacht haben, hat Mercedes bei den Rekordfahrten des AMG GT XX in Nardo auch deshalb die Welt in acht Tagen umrunden können, weil die Boxenstopps des elektrischen Überfliegers dank einer neuen Ladesäule mit ebenfalls einem Megawatt Leistung verkürzt wurde. Und damit davon auch die Kunden was haben, soll diese Säule schon im nächsten Jahr zusammen mit dem Nachfolger des GT Viertürers in Serie gehen und an den Ladeparks des Herstellers installiert werden.

Flash heißt das neue Megawatt-Ladeformat von BYD aus China.
Technische Hürden bei Akku und Infrastruktur
Denn genau darin liegt ein Problem dieses Wettrüstens. Schon im Auto ist es schwierig, aufwändig und vor allem teuer, solche Ladeleistungen zu erreichen, weil das den Temperaturhaushalt der Akkus durcheinanderbringt, und ihre Haltbarkeit gefährden kann. Aber selbst die schnellste Ladetechnik bringt nichts, wenn die Säule nicht genügend Strom liefern kann. Und da ist in Europa zumeist noch bei 400 kW Schluss, die obendrein nur unter optimalen Bedingungen erreicht werden.
Braucht es wirklich immer mehr kW?
Angesichts dieser Hürden wird in der Branche stellt sich die Frage, wie weit das Wettrüsten an der Ladesäulen tatsächlich gehen soll und kann: Wo ist wirklicher Fortschritt möglich, und wo wird der Fortschritt zum Selbstzweck, von dem der Kunden nichts mehr hat? Und die Antworten auf diese Fragen sind aktuell noch ausgesprochen kontrovers.
Experteneinschätzung: Megawatt hilft kaum im Alltag
"Die aktuellen Megawatt Charging Systeme (MCS) von BYD, Zeekr und insbesondere AMG zeigen, was bei einem perfekten Zusammenspiel von e-Plattform des Fahrzeugs, Ladeinfrastruktur und Netzleistung möglich sein kann," sagt Andreas Radics, Partner beim Münchner Strategieberater Berylls by AlixPartners und sieht darin die Lösung eines noch immer akuten Problems. "Denn bei den mit MCS zu erzielenden Ladezeiten, verliert die Reichweitendiskussion deutlich an Gewicht".

XPeng hat mit dem Facelift für G6 und G9 die Ladeleistung fahrzeugseitig auf 525 KW erhöht.
Hohe Ladeleistung bleibt eine Nischenlösung
Doch bei aller Begeisterung hat Radics auch Bedenken: Zum einen sei die Realität davon noch weit entfernt und selbst bei BYD könnten solche Spitzenlasten nur über einen kurzen Zeitraum gehalten werden. Und zum anderen müsse klar sein, dass MCS für Pkw auf lange Sicht nur einem kleinen Kreis nutzen werde. Die Ladesäulen dafür seinen signifikant teurer, würden mangels Auslastung wohl kaum wirtschaftlich zu betreiben sein. Ebenso sei die Technologie an Bord kostspielig und würde die Fahrzeugpreise, die momentan ohnehin schon signifikant gestiegen sind, nochmals in die Höhe treiben. Und zu allem Übel gebe auch das Netz solche Leistungen nur bedingt her, bremst Radics die Euphorie.
Sinnvoller Zielkorridor: 300–600 kW statt Megawatt
Stattdessen hält er eine Ladeleistung zwischen 300 und 600 kW für erstrebenswert und rät anstelle hoher Peaks lieber zu breiten Plateaus: "Wenn solche Werte über eine möglichst lange Zeit anliegen, könnte eine signifikante Optimierung der Ladezeiten erreicht werden, die die Dauer des Ladevorgangs in den Bereich der Dauer des Tankvorgangs rücken." Alles darüber hinaus diene vor allem dem Prestige der einzelnen Player, habe aber wenig ernsthaften Nutzen: "Ob man immer das technisch Mögliche auch in der Fläche benötigt oder wirtschaftlich sinnvoll ausrollen kann, ist fraglich," sagt Radics und verweist auf den Motorsport: "Es hat ja auch nie jemand gefordert, die Tankanlagen der Formel1 für Serienautos zu übernehmen, obwohl diese mit einem Durchlauf von zwölf Litern pro Sekunde signifikant schneller sind als die konventionellen Tankstellen, wo bestenfalls 0,5 bis 1 Liter pro Sekunde Sprit fließen."
Nextmove-Analyse: Kaum Nutzen für Volumenmodelle
E-Fluencer und Elektroauto-Spezialist Stefan Moeller vom Fahrzeugvermieter und -vermittler Nextmove aus Leipzig sieht das aktuelle Wettrüsten ebenfalls eher kritisch. Natürlich hat auch er nichts gegen Fortschritt, aber nicht um des Fortschritts willen. Sondern er sieht deutlich diesseits des Megawattladens eine vernünftige Grenze erreicht. "Klar, für Luxusmodelle und Supersportwagen mag das ein prestigeträchtiger Wert sein, für den die Kunden bereitwillig tief in die Tasche greifen. Doch bei Volumenmodellen lohnt sich dieser Aufwand kaum mehr", sagt Moeller und verweist auf die immensen Kosten, die man dafür von der besseren Akkukühlung bis zur stärkeren Lade- und Leistungselektronik ins Auto stecken müsse. Vom größeren Gewicht und dem größeren Platzbedarf ganz zu schweigen.
Zeitgewinn oft geringer als erwartet
"Und das alles, um dann doch wieder nur an viel zu leistungsschwachen Ladesäulen zu stehen?" fragt Moeller ketzerisch. Zwar hofft der Experte darauf, dass sich mit der Leistung der Fahrzeuge auch die Infrastruktur weiterentwickelt, hält aber trotzdem nichts von teuren Ringen um solche Spitzenwerte. "Denn am Ende mag man zwar zwei oder vielleicht sogar fünf Minuten der reinen Ladezeit sparen, wenn kurz mal Spitzen von 1000 kW erreicht werden. Aber gerechnet auf den gesamten Ladevorgang ist der Gewinn eher gering." Schon eine Ampelphase mehr oder weniger auf dem Weg von und zur Ladesäule könne den Vorteil zunichtemachen und die zwei, drei Minuten, um den Ladevorgang zu starten und zu beenden, kämen da wie dort dazu. "Was auf den ersten Blick aussieht, wie ein Zeitgewinn von im besten Fall vielleicht 20 Prozent, sind bei einer gesamtheitlichen Betrachtung dann vielleicht noch 5 Prozent und führen den riesigen Aufwand ad absurdum," sagt Moeller. "Da ist das Geld für die Aufrüstung der Autos und die Ertüchtigung der Infrastruktur an anderer Stelle sehr viel besser investiert."








