Wer vom Fahrbahnrand anfährt, ist kein Teil des fließenden Verkehrs. Das kann bei einem Unfall mit anderen Fahrzeugen zu einer erhöhten Haftung führen, wie ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs zeigt.
Straßenverkehrsordnung regelt den Spurwechsel klar
In dem verhandelten Fall war eine Pkw-Fahrerin beim Spurwechsel mit einem Auto kollidiert, das gerade vom Straßenrand anfuhr. Amts- und Landgericht hatten zunächst eine hälftige Schuldverteilung vorgenommen: Die Ausparkerin habe gegen die Sorgfaltspflicht beim Anfahren verstoßen, die andere Fahrerin gegen die Sorgfaltspflicht beim Spurwechsel. Die Vorinstanzen beriefen sich dabei auf § 7 Abs. 5 StVO, der besagt: "In allen Fällen darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist."
BGH: Fließender Verkehr hat Vorrang
Der Bundesgerichtshof sah den Fall jedoch anders. Laut Urteil ist ein anfahrendes Fahrzeug nicht als Teil des fließenden Verkehrs zu betrachten. Demnach muss derjenige, der auf die Fahrbahn einfädelt, besondere Vorsicht walten lassen und trägt eine höhere Verantwortung.
Würde der Spurwechsler dieselben Sorgfaltspflichten erfüllen müssen wie der anfahrende Wagen, wäre das nicht mit dem Vorrang des fließenden Verkehrs vereinbar, so der BGH. Das Urteil könnte die Haftungsverteilung in ähnlichen Fällen künftig beeinflussen. Der Fall wurde an die Vorinstanz zurückverwiesen. Diese soll prüfen, ob die Spurwechslerin möglicherweise gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht verstoßen hat, weil sie das Anfahren des anderen Fahrzeugs hätte frühzeitig erkennen können (Az.: VI ZR 1308/20).