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Stromspeicher E-Auto auf Porto Santo Geben und Nehmen

Renault Zoe V2G Projekt Porto Santo Foto: Jens Weißenborn 6 Bilder

Elektroautos können Strom nicht nur speichern, sondern bei Bedarf auch ins Netz abgeben. Mit dieser Technik will die portugiesische Insel Porto Santo komplett CO2-frei werden.

Der in Blaumetallic lackierte Prototyp sieht aus wie ein normaler Renault Zoe, kostet aber 100.000 Euro. Eric Feunteun eilt herbei. Sein Sakko flattert, er winkt mit dem Schlüssel und öffnet dann den Kofferraum. "Sehen Sie das?" Er deutet auf den Ladeboden, der um ein paar Zentimeter höher liegt als die Ladekante. "Darunter sitzt die V2G-Technik." Das steht für Vehicle to Grid, wörtlich übersetzt "Fahrzeug zu Netz". Experten wie der Leiter der E-Mobilitätssparte bei Renault benutzen die Abkürzung, wenn sie von Autos sprechen, die nicht nur zum Laden ihres Antriebsakkus ans Stromnetz angeschlossen werden. V2G-fähige E-Autos können elektrischen Strom auch wieder ins Netz einspeisen.

Auf der portugiesischen Atlantikinsel Porto Santo, Nachbarin des bekannteren Madeira, kurven derzeit zwei dieser 100.000-Euro-Prototypen umher. Die Verantwortlichen des Projekts sehen in ihnen den Beginn eines großen Wandels. "Porto Santo ist ein lebendes Labor für die Nachhaltigkeit im Energiesektor", sagt Wirtschaftsexpertin Patricia Dantas von der Regierung der Autonomen Region Madeira, zu der Porto Santo zählt.

Die 5.500-Einwohner-Insel ist seit Jahrzehnten energietechnisch von Diesel- und Schwerölimporten abhängig. Das Inselkraftwerk verfeuert fossile Brennstoffe zur Stromproduktion, ein Überseekabel wurde nie verlegt. Erst seit 1996 dreht sich zur Produktion erneuerbarer Energie ein Windrad auf der Insel, das 2000 durch ein neues ersetzt wurde; ein Solarpark kam hinzu. Nun aber soll Porto Santo zur weltweit ersten Insel werden, die mithilfe von E-Autos und einem intelligenten Stromnetz auf fossile Brennstoffe verzichtet.

Das Grundprinzip von V2G sieht vor, Autos als Pufferspeicher zu nutzen. Als Schwarm schlauer Akkus, der immer weiß, wie es um den Stromverbrauch der Bevölkerung steht. Schalten beispielsweise alle abends das Licht und den Fernseher ein, weil ein wichtiges Fußballspiel läuft, schnellt der Verbrauch in die Höhe. Oft fangen Gastur­binen- oder Pumpspeicherkraftwerke solche ­Spitzenlasten ab. Diese Primärregelleistung ist wichtig, denn werden Stromnetze nicht konstant bei 50 Hertz Netzspannung stabilisiert, drohen ­Stromausfälle.

Auf Porto Santo erledigt dies bislang ein Inselkraftwerk. Doch 2023 soll es vom Netz gehen. "Das ist unser ambitioniertes Ziel", sagt Agostinho Figueira, beim Energieversorger Empresa Electricidade da Madeira (EEM) verantwortlich für Planungsfragen. Dann sollen E-Autos das Netz stabilisieren, indem sie in Sekundenschnelle Saft einspeisen. Dazu plant Renault, den Anteil der Stromer von derzeit 22 Zoe und Kangoo Z. E. auf über 500 ab dem Jahr 2020 und damit die Hälfte des Inselbestands aller Autos zu steigern.

Renault Zoe V2G Projekt Porto Santo Foto: Jens Weißenborn
2023 soll das Inselkraftwerk vom Netz gehen, so das ambitionierte Ziel von Agostinho Figueira vom Energieversorger Empresa Electri­cidade da Madeira (EEM).

Die zweite Aufgabe des intelligenten Schwarms rollender Akkus: Sie sollen den regenerativ erzeugten Strom aufnehmen, der verpuffen würde, weil er gerade nicht gebraucht wird. Tagsüber in der Bruthitze dämmert das öffentliche Leben manchmal stromsparend vor sich hin, und zum Anpfiff, wenn alle vor den Fernseher eilen, ist die stromspendende Sonne oft schon untergegangen.

Auf Porto wurden bereits elf Akkus von Renault installiert – aus verunfallten Autos oder von Fahrzeugen, deren Batterien nicht mehr die volle Kapazität haben. Ein weiterer Pufferspeicher mit vier Megawatt als Primärreserve ist geplant.

Renault Zoe V2G Projekt Porto Santo Foto: Jens Weißenborn
Der Solarpark von Porto Santo ­wurde 2010 eröffnet. 2018 speiste er 3,2 Gigawattstunden ins Stromnetz der Insel ein.

Damit das Zusammenspiel funktioniert, braucht es die Abstimmung von E-Autos, Verbrauchern, Erzeugern, Akkus und Stromnetz. Darum kümmern sich auf Porto Santo Experten von The Mobility House mit einer speziellen App. Sie sehen großes Potenzial von V2G auch für andere Weltregionen. »Uns steht eine radikale Transformation des Energie- und Automobilsektors bevor, die dabei hilft, die CO2-Emissionen des Verkehrssektors drastisch zu senken«, heißt es bei der Münchner Firma.

Private Pkw stehen im Schnitt 23 Stunden am Tag. Nutzte man sie als Zwischenspeicher, ließe sich der teure Netzausbau zumindest teilweise vermeiden. Weiterer Effekt: Halter von E-Autos würden von günstigem Strom profitieren, denn der ist vor allem dann billig, wenn überschüssige alternative Energie zur Verfügung steht. Sie müssten nur per App mitteilen, wann und am besten wie weit sie mit dem E-Auto fahren wollen. Dementsprechend kann der Algorithmus von The Mobility House die Kapazität des Traktionsakkus einplanen.

Dafür sollen die Besitzer von E-Autos Geld bekommen. Eric Feunteun von Renault nennt 300 bis 350 Euro, die Fahrer von bidirektional gerüsteten Zoes jährlich einnehmen könnten, wenn sie ihr Fahrzeug regelmäßig ans Stromnetz anschließen. In Utrecht, wo anteilig die meisten E-Autos der Niederlande stromern, hat Renault ein weiteres Pilotprojekt gestartet.

Dort kooperieren die Franzosen mit dem Flottenbetreiber We Drive Solar sowie einem Start-up für Smart Charging, an dem die Franzosen beteiligt sind. Jedlix bietet Kunden einen flexiblen Tarif, mit dem sie auch Geld einnehmen können, wenn sie Autos netzstabilisierend laden. "Sie bekommen immerhin 60 Euro im Jahr dafür, dass sie ihr Auto nur einstöpseln", wirbt Feunteun. Für die Stromerzeuger ist das immer noch ein lukratives Geschäft, denn sie vermeiden Strafzahlungen an die ­Infrastrukturbetreiber, wenn ihre Windräder bei Sturm ­stillstehen.

Auch andere Autohersteller widmen sich dem Thema V2G. Mitsubishi bietet seit diesem Jahr in Japan ein Vehicle-to-Home-System an, bei dem ein E-Autos als Stromspeicher für Eigenheimbesitzer dient (siehe Ausgabe 01/2020). Nissan vermeldete Ende 2018 stolz das E-Auto als Kraftwerk: In Hagen wurde ein Leaf – und damit erstmals ein E-Auto überhaupt – gemäß allen regulatorischen Anforderungen eines Übertragungsnetzbetreibers für die Primärregelleistung qualifiziert, die auch Großkraftwerke erfüllen müssen. Volkswagen verspricht für 2021 eine Volks-Wallbox, die über V2G-Funktionalität verfügen soll. Und BMW plant in Deutschland ein Pilotprojekt mit rückspeisefähigen E-Fahrzeugen.

Sobald beim Zoe die neue Ladetechnik aus dem Kofferraum unter die Fronthaube gewandert ist und dort die unidirektionale Ladetechnik ersetzt, soll der V2G-fähige Zoe auch nicht mehr 100.000 Euro kosten, sondern nur ein paar Hundert Euro mehr. Eric Feunteun rechnet damit, dass V2G-Technik bei Renault-Stromern spätestens ab 2025 eine Selbstverständlichkeit sein wird. Wenn alles nach Plan läuft, ist Porto Santo bis dahin CO2-frei.

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