Elektromobilität und autonome Fahrfunktionen verändern die Spielregeln im globalen Automarkt – und stellen auch Versicherer vor neue Herausforderungen. Reparaturen an E-Fahrzeugen, insbesondere an Batterien, treiben Kosten und Prämien nach oben. In China sorgt nun BYD für Aufmerksamkeit: Der Hersteller will bei seiner neuen L4-Parkfunktion "God’s Eye" selbst für mögliche Schäden haften. Ein Schritt mit Signalwirkung – auch für Fuhrparks. Im Interview erklärt Thomas Zwack, Versicherungsexperte und Partner bei Advyce & Company, wie sich Haftungsmodelle, technologische Trends und regulatorische Vorgaben auf Versicherer, OEM und Flottenbetreiber auswirken.
Wie bewerten Sie BYDs Entscheidung, bei L4-Parkfunktionen die Haftung selbst zu übernehmen?
BYDs God`s Eye hat in der Branche auch Fachleute verblüffen können. Komplexe autonome Funktionen zum Schnäppchenpreis in der Serie, eine außergewöhnliche Leistung in puncto Hard- und Software. Bei der L4-Parkfunktion, die das automatisierte Parken von Kraftfahrzeugen der Stufe 4, beschreibt, übernimmt der Hersteller nun die Haftung beim Parken. Ein weiterer Coup, der zum einen das Selbstbewusstsein von BYD verdeutlicht, darüber hinaus aber auch zeigt, wie heftig der Wettbewerb in China ist. Spektakuläre Maßnahmen wie diese können ein wertvoller USP für den Hersteller werden – in einem Markt, in dem derzeit Hauen und Stechen geboten ist.
Die Ankündigung einer Übernahme der (Produkt-)Haftung durch BYD für definierte autonome Funktionen ist da zweifellos ein bemerkenswerter Schritt. Sie ist eine nicht zu unterschätzende vertrauensbildende Maßnahme, die augenblicklich auch in der Fachpresse besondere Betrachtung findet. Der Schritt wird die Akzeptanz autonomer Systeme bei diesem Hersteller weiter fördern, chinesische Käufer sind hier ohnehin besonders aufgeschlossen. Dieses angekündigte Absicherungsmodell setzt ein hohes Maß an Reife der eingesetzten Technologie, Datenverfügbarkeit und juristischer Absicherung voraus. Zugleich steigt nun der Druck auf andere Hersteller, ebenfalls L4-Parkfunktionen anzubieten und eine für den Kunden attraktive Absicherung im Falle eines Parkunfalls zu gestalten. Die Initiative von Herstellern rund um neue Technologien erinnert an die frühen Ambitionen Teslas, im Bereich der E-Fahrzeuge Versicherungsleistungen anzubieten. Um bahnbrechenden Technologien zum Durchbruch zu verhelfen werden die Hersteller erfinderisch!

Thomas Zwack ist Partner bei Advyce & Company. Der Insurance Fachmann verfügt über langjährige Expertise im Bereich der KFZ-Versicherung und behält die technologischen und regulatorischen Entwicklungen der Branche im Blick.
Ist dieses Modell aus Ihrer Sicht eine Blaupause für andere Hersteller?
Mittelfristig könnte das Modell von BYD möglicherweise als Blaupause dienen, insbesondere für klar definierte Anwendungsfälle wie das automatisierte Parken. Voraussetzung ist aber ein stabiles regulatorisches Umfeld sowie die Etablierung standardisierter Nachweis- und Dokumentationsprozesse. Und hier habe ich im Augenblick noch meine Zweifel, wie das gelingen kann.
Dem Versicherungsnehmer ist es am Ende doch ziemlich egal, wer den Schaden übernimmt – Hauptsache, er wird übernommen. Und hier ist nach wie vor der einfachste Weg der Anruf bei seiner Versicherung. Die HUK, wie auch andere Versicherungsunternehmen, setzen sich schon heute dafür ein, dass bei Unfällen mit autonom fahrenden Autos die Kfz-Versicherung weiterhin führend reguliert. Sollte ein Regress mit dem Hersteller notwendig sein, kümmert sich die Versicherung darum. Für den Versicherungsnehmer ein denkbar einfaches und kundenfreundliches Szenario.
Welche Risiken gehen Autohersteller ein, wenn sie in Haftungsthemen vorrücken?
Die (freiwillge) Haftungsübernahme des Herstellers bringt natürlich neue Risiken mit sich. Zum einen sind Risiken durch Systemausfälle oder Fehlbedienungen im Fahrzeug zu nennen, Reputationsrisiken bei Unfällen unter Herstellerverantwortung, finanzielle Risiken durch höhere Rückstellungen sowie regulatorische Risiken durch unterschiedliche länderspezifische Rechtslagen, wobei wir hier derzeit zunächst nur über China sprechen. Kommt es dann einmal zu einem Schaden, sind entsprechende Kommunikationskanäle zu etablieren, über die ein Schaden gemeldet und reguliert werden kann. In meinen Augen ein ambitioniertes Vorhaben, sofern der Hersteller nicht schon über die entsprechenden Prozesse und Infrastruktur verfügt – etwa über seinen eigenen automobilgebundenen Finanzdienstleister oder einen anderen erfahrenen Partner. Für die Technologie "autonomous driving" kann das Vorhaben aber ein Meilenstein sein, zeigt er doch: Autonome Funktionen zu günstigen Preisen bei hoher Sicherheit sind möglich.
Wie verändert autonomes Fahren die Risikobewertung in der gewerblichen Kfz-Versicherung?
Ich sehe kurz und mittelfristig keine grundlegenden Veränderungen bei der gewerblichen Kfz-Versicherung. Deutsche Kfz-Versicherer werden auch weiterhin die erste Anlaufstelle für den Fuhrparkmanager bzw. Fahrer bei einem Schaden sein. Natürlich wird zukünftig das autonome Fahren die Risikobewertung schrittweise ändern und die Verantwortlichkeiten verschieben sich vom Fahrer hin zum System und Hersteller. Hier sind deshalb ggfs weiterführende Vereinbarungen zwischen Versicherer und Hersteller notwendig. Auch neue tarifrelevante Merkmale wie Softwareversion, Sensorzustand und Datenintegrität können an Bedeutung gewinnen.
Welche Herausforderungen sehen Sie für Unternehmen bei der Absicherung von E-Autos und Assistenzsystemen?
Durch den technologischen Fortschritt und der Marktreife höherer Stufen beim autonomen Fahren, wird die Schadenfrequenz langfristig sinken (Level 1: assistiertes Fahren bis Level 5: autonomes Fahren). Wenn es aber doch einmal zu einem größeren Unfall mit E-Autos kommt, liegen die Schadenhöhen oftmals deutlich über dem heutigen Durchschnitt. Grund dafür sind etwa die deutlich höheren Reparaturkosten aufgrund der verbauten Batterien und Sensoren für die Assistenzsysteme. Durch zukünftig immer höher vernetzte Fahrzeugarchitekturen steigen zudem die Cyberrisiken, die es dann ebenfalls abzusichern gilt.