Interview: Reifenexperte Christian Koch von Dekra "Umwelt und Sicherheit spielen eine wichtige Rolle"

Christian Koch Dekra Foto: ETM

Christian Koch leitet das Dekra-Reifenlabor. Im Interview erklärt er, was Reifen mit Feinstaub zu tun haben und wo es in Sachen Sicherheit künftig hingeht.

Bei der Feinstaubbelastung spielt der Reifenabrieb eine große Rolle. Was steckt dahinter?

Dass die Feinstaubbelastung in einigen deutschen Städten deutlich zu hoch ist, steht grundsätzlich außer Zweifel. Leider ist festzustellen, dass mit diesem Thema sehr emotional und damit leider sehr unsachlich umgegangen wird. Zum einen kann Reifenabrieb nicht isoliert, sondern immer nur im Zusammenhang mit dem Abrieb von Straßenbelag und Bremsen betrachtet werden. Die Benutzung von Fahrzeugreifen führt nicht alleine zu Gummipartikeln, sondern aufgrund des Kontakts der Reifen mit dem Straßenbelag zu einem Agglomerat von Straßen- und Reifenpartikeln. Diese Mischung aus kleinsten Gummistücken, Mineralien und anderen Bestandteilen des Straßenstaubs wird daher auch als Straßen- und Reifenabrieb (Tire and Road Wear Particles – TRWP) bezeichnet. 

Lässt sich das irgendwie quantifizieren? 

Die uns vorliegenden Daten zeigen, dass diese Partikel aus Straßen- und Reifenabrieb in den allermeisten Fällen einen deutlich größeren Durchmesser aufweisen als Feinstaubpartikel und darüber hinaus nicht schwebefähig sind. Zurzeit führt Dekra im Auftrag der Stadt Stuttgart einen ausführlichen Versuch durch. Ziel ist es herauszufinden, ob es in Sachen Feinstaub zielführend ist, Grobstaub zu beseitigen, so dass er nicht zu Feinstaub „zermahlen“ werden kann.

Anderes Thema: Wo liegen die größten Sicherheitsthemen beim Reifen? 

Aus Sicht einer Sachverständigen-Organisation spielt mangelnde Reifenpflege (zu geringer Fülldruck, eingefahrene Fremdkörper oder ähnliches) nach wie vor die Hauptrolle bei Reifenschäden. Der Reifen findet trotz seiner herausragenden Wichtigkeit in Bezug auf die Fahrzeugsicherheit leider immer noch nicht die Aufmerksamkeit, die ihm eigentlich gebührt. Aus unserer Sicht lässt sich zumindest über die Einführung von RDK-Systemen viele der entsprechenden Fülldrucksünden wenn nicht verhindern, so doch zumindest teilweise reduzieren.

Lassen sich also über das RDKS viele der Probleme lösen? 

Um den Fülldruck bei Nutzfahrzeugen optimal zu überwachen wäre es wünschenswert, die entsprechenden Daten des RDKS über die Fahrzeugsoftware zugänglich zu machen. Gerade für Nutzfahrzeugreifen gibt es, anders als für Pkw- beziehungsweise Motorrad-Reifen, nicht den einen korrekten Fülldruck. Dieser hängt sehr stark von der Beladung und weiteren Einsatzbedingungen ab. 

Neben der Detektion des Fülldrucks ist darüber hinaus auch das Erkennen der Achs- beziehungsweise Radlast wichtig. Zusätzlich zur Detektion des Drucks spielt selbstverständlich auch das Erkennen von Temperaturen im Reifeninneren eine Rolle. 

Und wo geht der Weg hin?

Aus unserer Sicht ist das derzeit verwendete direkt messende RDKS am Ventil nur ein Zwischenschritt bis letztendlich ein „vernetzter“ Reifen mit dem Fahrzeug kommuniziert. All diese Technik darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor der Mensch als Fuhrparkverantwortlicher oder Fahrer gefragt ist, wenn es um Reifenwartung und Beurteilung geht. Phänomene ungleichmäßigen Abriebs wie Freilaufrillen, Rippenabsenkungen oder Diagonalauswaschungen lassen sich auch nach derzeitigem Stand absehbar nicht mit Sensoren detektieren.

Zur Person: Christian Koch

Christian Koch (48) leitet das Dekra-Reifenlabor in München. Koch erstellt in dieser Funktion Gutachten für Justizbehörden und ist als Berater für Werkstätten, Industrie, Fuhrparks und Justiz tätig. Der Ingenieur ist ausgebildeter Sachverständiger für Unfallrekonstruktion und war insgesamt neun Jahre lang in den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie im Kundendienst eines großen Reifenherstellers tätig.