Null Unfälle, null Emissionen ZF entwickelt das Auto von morgen

Zf, autonomes, fahren, Porsche, Panamera Foto: ZF

Mit intelligenteren Assistenten und E-Motoren will der Automobilzulieferer die Straßen sicherer machen.

Vor uns breitet sich eine lange Gerade aus. Auf der linken Seite bedeckt eine dünne Eisschicht den Asphalt, rechts liegt der schwarze Boden trocken frei. Mit 100 km/h schießt unser Porsche Panamera Turbo breitbeinig über die Teststrecke. Links rollen Vorder- und Hinterreifen über die kalte Eisplatte, die Profile der beiden rechten Pneus walzen über den rauen, trockenen Asphalt. Genau mittig unterm Sportwagen treffen Winter- und Sommerbelag aufeinander.

Vom Beifahrersitz aus bittet uns ZF-Fahrwerkentwickler Oliver Westphal die Hände vom Lenkrad zu nehmen. Wir umgreifen die Oberschenkel und treten das Bremspedal durch. Vollbremsung. Der Porsche kneift die Bremsbacken zusammen, die Fliehkraft schnappt nach unseren Oberkörpern. Für wenige Sekunden hängen wir in den Gurten. Bis der Porsche zum Stehen kommt – komplett auf der rechten, trockenen Straßenseite. Der bessere Grip zog das Fahrzeug um einige Meter nach rechts. Im echten Straßenverkehr hätte das fatale Folgen gehabt. Entweder wären wir von der Landstraße abgeflogen oder in parkende Autos geschossen. Ein Motto dieses Workshops lautet aber »null Unfälle«. Abdriften muss also vermeidbar sein.


Hinterachslenkung für präziseres Fahren

Zweiter Anlauf. Dieses Mal schaltet Westphal die Hinterachslenkung des Porsche, eine Entwicklung des Autozulieferers ZF Friedrichshafen, hinzu. Seit 2016 ist die mitlenkende Hinterachse im Panamera verbaut, zu haben für 2.000 Euro Aufpreis. Gut investiertes Geld, wie sich gleich zeigt. Erneut brettert der Familien-Sportwagen über die beiden präparierten Flächen. Tempo 100. Hände weg. Vollbremsung. Fliehkräfte. Gurt. Der Wagen kommt zum Stehen. Genau mittig unter uns treffen Winter- und Sommerfahrbahn aufeinander. Der Panamera hielt die Spur. Der Unterschied zur vorherigen Bremsung: Bei aktivierter Hinterachslenkung steuern die hinteren Räder in einem Winkel bis zu 2,8 Grad entgegen des Lenkeinschlags der Vorderräder. Nicht gerade viel, reicht aber dennoch aus, das Fahrzeug auf Linie zu halten.

Die Hinterradlenkung von ZF heißt Active Kinematics Control. Und sie hat einen weiteren Vorteil: Der Wendekreis des Autos schrumpft um etwa zwei Meter. Welchen Stellenwert intelligente Technik in heutigen Lenkungen einnimmt, zeigt uns ZF an einem anderen Fahrzeug.

Zf, autonomes, fahren, Porsche, Panamera Foto: Dominik Gigler
Für ZF ist automatisiertes Fahren eine Lösung, die Unfallzahlen zu senken.

Das Testfahrzeug diesmal: ein VW Passat Kombi. Die Fahrt startet mit voller Funktion der Servolenkung. Die arbeitet heute in vielen Autos elektromechanisch. Nach einigen Kurven schaltet der ZF-Ingenieur per Laptop 50 Prozent der Leistung des Elektromotors ab. Die nächste Kurve ist nur mit großem Kraftaufwand gerade so zu schaffen.
Danach ist die Lenkunterstützung völlig ausgeschaltet. Lenken ist unmöglich, allein Bremsen und Stehen hilft. Ein Test, der eindrucksvoll zeigt, wie abhängig wir Autofahrer von den vielen kleinen und großen Helferlein geworden sind. Und, dass manche Systeme redundant ausgelegt sein sollten.

Ablenkung am Steuer zweithäufigste Unfallursache

Die meisten Unfälle entstehen allerdings durch menschliches Versagen. ZF sieht daher in dem automatisierten Fahren eine Lösung, die Verkehrssicherheit deutlich zu erhöhen und die Zahl der Ver­kehrs­toten zu reduzieren. Denn automatisierte Fahrzeuge gehen nicht leichtsinnig Risiken ein, sie fahren niemals zu schnell oder unter Alkoholeinfluss. Das voll­auto­no­me Auto ist allerdings noch weit entfernt. Bis dahin verfolgt ZF die »Vision Zero«: Durch innovative Sicherheitssysteme sollen Fahrzeuge sehen, denken und handeln können, um menschliche Fehler gerade in der Übergangsphase vom assistierten zum autonomen Fahren zu minimieren.

Mit dem Vision Zero Vehicle nähert sich ZF einer Mobilität ohne Unfälle, aber auch ohne Emissionen an. Das Chassis des Prototyps ist ein Touran von VW. Der Motor wurde entfernt, dafür ein elektrisches Hinterachsantriebssystem mit 150 kW Leistung eingebaut. Ausgestattet ist das Fahrzeug mit einem Driver Distraction Assist. Der erkennt, wenn der Fahrer abgelenkt ist – die zweithäufigste Unfallursache nach überhöhter Geschwindigkeit –, und steuert bei Bedarf das Fahrzeug so weit, bis keine Gefahr mehr besteht. Die technische Basis dieses Anti-Ablenkungsassistenten ist eine lern­fähige Innenraumkamera.

Vision Zero Vehicle weicht von alleine Hindernissen aus

Der Assistent »Wrong-way Inhibit« soll Geisterfahrten und ihren oft schwerwiegenden Folgen entgegenwirken. Eine Frontkamera erkennt und interpretiert Verkehrsschilder genauso wie Fahrbahnmarkierungen. Das System kombiniert dies mit hochgenauen und via Cloud permanent aktualisierten Karten. Sobald der Fahrer den Blinker setzt und eindeutig in falscher Richtung einer Straße fahren möchte, schlägt der Assistent Alarm.
Wie beim Anti-Ablenkungsassistenten ertönen zunächst Warnsignale, der Gurt vibriert und auf dem Display flackern Signale auf. Außerdem wird der Lenkwiderstand erhöht. Sollte der Fahrer dennoch seine Fahrt fortsetzen, steuert das System den Wagen zum Fahrbahnrand und bremst ihn bis zum Stillstand ab.

Der Touran kann noch mehr: Er verfügt über eine aktive Lenkung. Kombiniert mit anderen Assistenzsystemen fährt der VW teilautonom. Erkennt die Frontkamera ein Hindernis, wechselt der Van automatisch sanft die Spur. Sanft, weil die Hinterachse mitlenkt. Das fühlt sich an, als würde man quer um das Hindernis gleiten. »Mit der aktiven Hinterradlenkung verringern oder verhindern wir die Symptome einer Reisekrankheit«, sagt Karl-Heinz Glander, Senior Engineering Manager bei ZF. Ausgelöst wird die Übelkeit durch eine Verwirrtheit des Gehirns, das von den Sinnesorganen unterschiedliche Informationen über die Bewegung erhält. Wenn man ein Hindernis umfährt, schaut man zwar nach vorne, bewegt sich aber seitlich. Das stört den Gleichgewichtssinn und führt zu Schwindelgefühlen