Kein virtuelles Cockpit, kein digitales Erlebnis - ist der Opel Astra noch auf der Höhe der Zeit?
Mann, wie die Zeit rast. War das nicht erst gestern, als der neue Opel Astra vorfuhr? Innovativ, voller Techie-Features wie Matrix-Licht, super bequemen Ergositzen, neuen Assistenten – kurz: Das ideale Auto für den budgetbewussten Außendienstmitarbeiter. Gut drei Jahre später steht unser Testwagen etwas betröppelt zwischen all den neuen Modellen, die seitdem mit viel Blingbling die Kompaktklasse aufmischen wollen.
Dabei muss sich der Astra gar nicht verstecken. Gut, übers Design darf man streiten, drei Jahre können in der mittlerweile so kurzlebigen Autowelt eine Ewigkeit bedeuten. Aber wichtiger ist doch, was unterm Blech steckt. Ob da der Astra Sports Tourer noch zeitgemäß ist, wollen wir auf einer kurzen Winterreise testen. Also erstmal den Thule-Dachträger rausgekramt. Passende Adapter kosten 38 Euro (alle Preise ohne Mehrwertsteuer) und lassen sich an den werksseitig vorgesehenen Befestigungspunkten ratzfatz montieren. Dachbox drauf, Skier rein, fertig.
Der Astra klopft an der Mittelklasse an
Früher musste man die Box bei einem Kompaktwagen zentimeterweise hin- und herschieben, damit die Heckklappe nicht dagegen knallt und die Box vorne nicht zu weit übersteht. Beim Astra ist das kein Thema. Der Opel streckt sich auf stolze 4,70 Meter, kratzt auch heute noch an der Mittelklasse. Wir merken’s beim Beladen: Sperriges Wintergeraffel wie Schneeschuhe oder Skistiefel passt in die Reserveradmulde (Opel belässt es beim Notrad), darüber stopfen wir dicke Winterjacken und decken das Ganze mit dem variablen Ladeboden zu. Oben ist dann Platz für zwei große Reise- und zwei Stiefeltaschen sowie einen kleinen Koffer. Locker gepackt, wohlgemerkt, und alles unter der etwas labbrigen Abdeckung. 540 Liter Gepäck packt der Kofferraum des Astra hinter der Rückbank. Mal eben 100 Liter mehr als der Golf Variant, und nur 20 Liter weniger, als sein großer Bruder Insignia Sports Tourer schafft.
Sitze hui, Navi – na ja
Einsteigen, los geht’s. Aber vorher unbedingt den Komfortsitz einstellen, beispielsweise die elektrisch anpassbare Oberschenkelauflage oder die Lendenwirbelstütze. Passt perfekt. Am Cockpit sehen wir, wo der Zahn der Zeit nagt. Wo andere Autos die große Multimediashow auffahren, begnügt sich der Opel mit klassischen Rundinstrumenten und einem acht Zoll kleinen Bildschirm oben in der Mittelkonsole.
Darüber kann man meckern, muss man aber nicht. Denn Einsteigen und Starten klappt ohne nachzudenken. Der Astra lässt sich völlig intuitiv bedienen. Man muss ihn nicht erst anreden oder wachküssen, sich nicht einloggen, anmelden und aus 395 Farben oder 32 Düften sein individuelles Fahrprofil erstellen, sich nicht durch Untermenüs wischen, wenn man die Temperatur verstellen oder ein Telefon koppeln will. Im Astra gibt’s nur ein paar eindeutig beschriftete Tasten und Knöpfe, mehr braucht er nicht. Schöne alte Autowelt.
Ruppig, aber sparsam
Ein Druck auf den Startknopf und der 1,6-Liter-Diesel schüttelt sich zurecht. Es nagelt gehörig vorne unter der Haube, was sich aber mit zunehmender Betriebstemperatur verliert. Auf der Autobahn ist nur noch ein leises Säuseln zu hören. Scheinbar haben sie in Rüsselheim nicht an Dämmmaterial gespart. Selbst die Dachbox pfeift nur leise vor sich hin. Der Junior räkelt mit eingestöpseltem iPad auf der großzügigen Rückbank und vergnügt sich mit Netflix. Auf Wlan und Online-Anbindung muss er allerdings verzichten, beides gibt’s nur mit den Onstar-Telematikdiensten. Die aber schaltet Opel Ende 2020 ab, weshalb sie unser Astra schon gar nicht mehr an Bord hat. Die große Vernetzung erlebt dieses Auto, wenn überhaupt, frühestens beim nächsten Facelift.
Mit 136 PS unter der Haube brummen wir also entspannt gen Alpen. Als der Verkehrsfunk aber völlig andere Staus auf der Autobahn meldet als das Navi, werden wir ein wenig nervös. Also schnell das Smartphone eingestöpselt und die Lage gecheckt. Will man wirklich heutzutage noch 832 Euro für ein antiquiertes Navigerät ausgeben, wenn Apple Car Play oder Android Auto kostenlos an Bord sind und viel genauer navigieren? Wir vertrauen lieber dem Online-Dienst und lassen uns über Land an der Blechkarawane vorbeilotsen. Auch auf der hügeligen Schwäbischen Alb hängt der Opel schön am Gas, zieht willig durch, hält uns unaufgeregt in der Spur und warnt dezent, wenn wir zu schnell werden. Nur die Tankanzeige irritiert. Fast 200 Kilometer auf der Uhr, und noch immer klebt sie unbeirrt bei 4/4. Ist die womöglich kaputt? Nö, der Wagen ist nur sparsam.
Das wissen wir endgültig, als nach 500 Kilometer nur 30 Liter in den Tank fließen. Im Schnitt hat der Astra mit der sperrigen Box auf dem Dach gerade mal sechs Liter verbraucht. Weniger gehen auch, wie unser Verbrauchsfahrer auf unserer 200 Kilometer langen Normrunde feststellt: Mit 4,8 Litern unterbietet der Opel in der Praxis den WLTP-Wert sogar um fünf Prozent.
Das Matrix-Licht ist ein Muss
Was aber kostet der Spaß? Der empfehlenswerte 136-PS-Diesel startet bei knapp 20.900 Euro (Business Edition). Unser Testwagen fährt in der 3.150 Euro teureren Version Innovation vor. Die hat sinnvolle Extras wie Front- und Rückfahrkamera, Smartphone-Anbindung, Sitz- und Lenkradheizung oder den Komfortsitz bereits an Bord (Beifahrer: 250 Euro). Dazu finden sich noch etliche Nettigkeiten in der Preisliste. Die 1.218 Euro teuren Matrix-Scheinwerfer etwa, die ihr Licht automatisch dem Verkehr anpassen und die Straße taghell ausleuchten.