Zu spießig, zu bieder: Obwohl sie richtig praktisch sind, will Minivans kaum noch jemand fahren. Auch die Mercedes B-Klasse muss sich deshalb wandeln.
Dass Minivans im Handel einfach nicht mehr ziehen, dafür hätte Mercedes nicht extra Kunden befragen müssen. Zum Glück schrien die B-Klasse-Fahrer bei der Umfrage nicht nach einem neuen Crossover. Diesen Wandel mussten schon so viele Vans anderer Marken durchmachen – was der Modellvielfalt am Markt nicht gerade gutgetan hat. Die Befragten wollten ihren Minivan allerdings etwas sportlicher, so wie es die anderen Modelle mit Stern schon sind. Ein um drei Zentimeter verlängerter Radstand bei weiterhin kurzen Überhängen, die leicht abgesenkte Dachlinie und die mit 16 bis 19 Zoll eine Nummer größeren Räder machen die Proportionen dynamischer als zuvor. Und die Schultern am hinteren Kotflügel stellt die B-Klasse ebenfalls stärker raus. Auftrag erledigt.
Vermasselt der sportliche Auftritt aber das bislang üppige Platzangebot der B-Klasse? Keineswegs. Der kompakte Mercedes ist sogar noch praktischer geworden. In gewohnt rückenschonender Haltung gleiten Fahrer und Beifahrer auf die gegenüber der A-Klasse neun Zentimeter höher montierten Sitzflächen. Und sie gucken jetzt besser raus aus dem Auto, weil die Ingenieure die Dachholme schmaler konstruierten. Auch wenn es nur Millimeter sind, vorne wie hinten bietet die B-Klasse um Kopf, Beine und Schultern mehr Platz.
Variabel und praktisch, so wie ein Van sein muss
Lediglich das Kofferraumvolumen schrumpft von 488 auf 455 Liter (max. 1.540 Liter). Allerdings lässt sich dafür nun die Rücksitzbank um 14 Zentimeter in Längsrichtung verrücken. Ist die Fondbank ganz vorne, steigt das Gepäckraumvolumen sogar auf 705 Liter – bei aufrechten Lehnen. Serienmäßig klappen die Sitzlehnen im Verhältnis 40:20:40 um. Im neuen Modell lässt sich zudem der Beifahrersitz komplett flachlegen und die Heckklappe surrt elektrisch per Fußschwenk unterm Schweller auf und wieder zu.
Als zweites Modell nach der A-Klasse erhält die B-Klasse das neue Infotainmentsystem MBUX, welches in eine komplett neue Armaturentafel integriert ist. Klassische Rundinstrumente gibt es nicht einmal mehr in der Einstiegsversion. Dafür bildet das Display hinterm Lenkrad mit dem Touchscreen in der Mitte einen gigantischen farbenfrohen Flimmerkasten. In der größten Version messen beide aneinandergedockten Bildschirme diagonal je 26 Zentimeter.
MBUX – ein ganz neues Infotainment-Erlebnis
MBUX darf dabei nicht mit einem klassischen Multimediasystem verglichen werden. Es ist weit mehr als nur Navigation und Entertainment. Vor allem in Sachen Connectivity legt der Mercedes die Messlatte höher. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Das von der Frontkamera aufgezeichnete Bild ergänzt der Mercedes auf dem Navibildschirm um grafische Elemente wie einen ins Bild fliegenden Abbiegepfeil oder die Hausnummern der links und rechts der vorbeiziehenden Häuser. Wird in die geparkte B-Klasse eingebrochen oder diese abgeschleppt, bekommt der Besitzer eine Nachricht aufs Handy geschickt. Gut möglich, dass dieser gar nicht selbst mit seinem Wagen unterwegs ist, über die Mercedes Me-App kann die B-Klasse zum privaten Carsharing freigegeben werden. An die Fülle an Infotainment- und Connectivity-Möglichkeiten muss sich der Fahrer in jedem Fall erst gewöhnen.
Auch bei der Steuerung des Systems ist Übung nötig. Touchscreen, Touchpad auf der Mittelkonsole und zusätzlich berührungssensitive Tasten am Lenkrad: So richtig weiß man nicht wo man als erstes drüberwischen und draufdrücken soll. Als einfachste Variante entpuppt sich der Touchscreen. Die Touchfelder am Lenkrad sind doch recht klein, das Touchpad einfach nicht so zielgenau wie ein Drehdrücksteller. Und dann gibt’s ja noch die ans Internet gekoppelte und lernfähige Sprachsteuerung, die ähnlich wie Siri und Alexa dem Fahrer auch mal Rückfragen stellt oder nach einer gewissen Kennenlernphase sogar Vorschläge zu bislang ungenutzten Funktionen macht. Alltägliche Dinge wie Sitzheizung oder Lieblingsradiosender kann der Fahrer nun in Sprachkommandos gezielt einstellen, ohne sich durchs umfangreiche Menü zu ackern. Zu MBUX zählt auch das Head-up Display, das Mercedes zum ersten Mal in der B-Klasse einsetzt. Genauso wie die Multibeam-LED-Scheinwerfer und viele weitere Fahrerassistenten, die der Kompaktwagen von E- und S-Klasse übernimmt.
Doppeltes Debüt beim Antriebsstrang
Den in der E-Klasse längs eingebauten Vierzylinder-Diesel pflanzen die Ingenieure in der B-Klasse quer unter die kurze Haube. Dank zusätzlichem zweiten SCR-Katalysator hält der Zweiliter-Motor sogar heute schon die Abgasnorm Euro 6d ein, die für Neuwagen erst 2020 verpflichtend wird. Im B 200 d leistet der Selbstzünder 150 PS, im B 220 d sind es 190 PS. Der große Diesel ergänzt den bereits aus der A-Klasse bekannten Vierzylinder-Diesel mit 1,5 Liter Hubraum und 116 PS (B 180 d). Zum Start stehen außerdem zwei Vierzylinder-Benziner mit 1,33 Liter Hubraum (136 und 163 PS) zur Verfügung, die wie der kleine Diesel standardmäßig mit einem Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe ausgestattet sind. Daher steigt auch der Grundpreis beim vorerst günstigsten Modell, dem B 180, um über 3.000 Euro auf 31.874 Euro.
Beim großen Diesel kommt ein neues Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe zum Einsatz. Das harmonierte auf unserer Testfahrt allerdings nicht einwandfrei mit dem 150 PS starken Zweiliter-Diesel. Als ob dem Motor untenrum Drehmoment fehlt, schaltet das DCT schon bei leichten Gasstößen zurück und lässt den Selbstzünder in den hohen Tourenbereich drehen. Dann ist der Diesel auch nicht mehr zu überhören. Neben dem Basisfahrwerk gibt es gegen Aufpreis ein Komfortfahrwerk mit Tieferlegung sowie eines mit adaptiven Dämpfern. Im Comfort-Modus schwebt der Minivan dann geradezu über den Asphalt, lässt noch beflissener als zuvor Bodenwellen verschwinden. Auch die Lenkung ist auf Komfort abgestimmt. Wer es knackiger mag, der wechselt einfach in den Sportmodus, oder stellt das Setup ganz individuell ein: Lenkung in Sport, Fahrwerk auf Comfort. Am schnellsten geht das dann per Sprachbefehl ans MBUX.