Leaf fahren, ist ein Erlebnis, alleine der Gasfuß gibt das Tempo vor. Mit langer Reichweite und schnellen Ladezeiten beweist Nissan, wie alltagstauglich E-Autos sind. Nur eine Sache nervt.
Waren es eigentlich drei- oder viermal? Oder doch nur das eine Mal? Wer Leaf fährt, vergisst leicht, wie oft er auf der letzten Fahrt die Bremse treten musste. Es hat Seltenheitswert. Spontan fällt uns nur eine Situation ein. Als der Vordermann harsch in die Eisen ging, weil ein Radfahrer auf die Straße auswich. Es blieb in Erinnerung, weil wir das Bremspedal zu doll drückten, fast schon eine Vollbremsung hinlegten. Es fehlte das Gefühl im Fuß, das sich normalerweise nach längerer Fahrt einprägt.
Ist das e-Pedal aktiviert, rekuperiert der Leaf beim Ausrollen so stark, dass der Wagen von alleine langsamer wird. "One-Pedal-Driving", falls Sie am Stammtisch glänzen wollen. Der Elektroantrieb arbeitet dabei im Schubbetrieb als Generator. Er verzögert mit bis zu 0,2 g, wenn der Fahrer den Gasfuß komplett lupft, und wandelt die dabei gewonnene Energie in Reichweite um. Wer vorausschauend fährt, der kontrolliert im Elektro-Nissan alleine mit dem Gasfuß die Geschwindigkeit. Damit der Hintermann nicht irritiert drauffährt, gehen sogar die Bremsleuchten an. Selbst am Hang, wenn der Wagen bergab an der Ampel steht, klebt der Nissan am Asphalt, ohne dass der Fahrer auf der Bremse steht. Über die Eco-Taste lässt sich zusätzlich die Motorleistung drosseln. So zog der Leaf in unserem Test lediglich 15 kWh Strom auf 100 Kilometer. Deutlich weniger sogar, als Nissa" unter WLTP-Vorgabe (19,4 kWh) angibt.
Das Elektroauto als Stromlieferant
Mit seiner 40 kWh großen Batterie packt es der Nissan somit über 250 Kilometer am Stück. In der Stadt verspricht der japanische Hersteller sogar Reichweiten von bis zu 400 Kilometern. Ist der Akku leer, findet der Fahrer die nächste Ladesäule über das veraltet aufgemachte Infotainmentsystem. Grobpixelig und mit blassen Farben stellt der Leaf die Inhalte auf dem Touchscreen dar. Die Hinweise verwirren allerdings. Unter den Menüpunkten „Navi" und "Info" gibt er Unterschiedliches an. Teils widersprüchliche Auskünfte zu den Ladeplätzen, wie die Anzahl der Ladepunkte etwa. Und nirgends klärt der Leaf darüber auf, ob ein Stecker überhaupt frei wäre.
Ist eine 50 kW starke Chademo-Ladesäule zur Hand braucht der Stromer nur 45 Minuten, um die Akkus auf bis zu 80 Prozent mit Strom vollzupumpen. Deutlich langsamer geht es an den üblichen öffentlichen Ladeplätzen mit 11 kW (3,5 Stunden Ladezeit) oder gar an der Haushaltssteckdose (18 Stunden) voran. Für die heimische Steckdose ist der Leaf dennoch interessant: Er ist das erste Elektroauto, das auch Strom ans Netz abgeben kann, also als Stromspeicher dient. Zu Zeiten, in denen der Strom besonders teuer ist, könnte der Elektrowagen also den Herd oder die Mikrowelle mit Strom versorgen. Für die meisten Haushalte ist das aber noch Zukunftsmusik.
Auf die richtige Ladekarte kommt es an
Die Autobahn hingegen gehört schon zum Terrain mancher Stromer. Elektroautos sollen ja den Diesel auch auf der Langstrecke ersetzen, so der Wunsch vieler Autobauer und Langstreckenpendler. Ein Leaf mit über 250 km kombinierter Reichweite wäre eigentlich dafür prädestiniert. Doch dem Nissan fehlt eine richtige Akku-Kühlung. Bei mehreren aufeinanderfolgenden Schnellladungen drosselt der Elektrowagen daher die Ladeleistung von 50 auf 15 kW, was den Boxenstopp am Rasthof von wenigen Minuten auf mehrere Stunden verlängern kann.
Ein noch viel größeres Dilemma der Elektromobilität allgemein sind die enorm abweichenden Kosten der Ladekarten. Wer nicht aufpasst, bezahlt an öffentlichen Ladesäulen schnell 10 Euro und mehr für 100 Kilometer Reichweite. Wichtig ist es vor allem zu wissen, ob nach Kilowatt oder Zeit abgerechnet wird. Stellen Sie sich vor, Sie wohnen in einer dicht besiedelten Innenstadt und sind auf öffentliche Ladepunkte angewiesen. Wer nach Stunden zahlt und den Wagen allabendlich nach der Arbeit einstöpselt, der wird wohl oder übel irgendwann am späten Abend nochmals im Jogginganzug aus der Wohnung hechten, den Stecker abziehen und umparken – sonst stehen einige unnötige Ladestunden auf dem Abrechnungszettel.
Dicke A-Säule lässt ganze Kurven verschwinden
Auf der anderen Seite sind die überdimensionierten Parkplätze an Ladepunkten in engen Innenstädten verlockend, um das Auto abzustellen, auch wenn die Batterie eigentlich genügend Saft hat. Da macht der Leaf keine Ausnahme. Mit seinen 4,49 Metern ist er nicht der Längste, dafür aber ganz schön unübersichtlich. Weder das Ende der Motorhaube, noch das Heck sind leicht abzuschätzen. Immerhin unterstützt eine 360-Grad-Kamera aus der Vogelperspektive. Ein Parkpilot übernimmt ebenfalls den Einparkjob. Der ist aber etwas umständlich zu bedienen: Erst muss der Fahrer die passierte Lücke auf dem Touchscreen bestätigen, um dann mit gedrückter Park-Taste fremdgesteuert in die Tasche zu zuckeln. Allzu oft erkennt er zudem die freie Lücke nicht.
Weil E-Autos keinen Motorsound erzeugen, piepst der Leaf beim Rückwärtsfahren wie ein Müllwagen – nicht gerade sexy, aber Sicherheit geht eben vor. Wen es stört, der kann es auch ausschalten. Der Einparkpilot ist Teil von Nissans autonomen Fahrsystems namens Propilot: Im gesamten Geschwindigkeitsbereich unterstützt den Fahrer ein Abstandstempomat mit aktivem Spurhalteassistent. Auf der Autobahn orientiert sich der Leaf noch zuverlässig an den Fahrbahnlinien. In der Stadt findet er sich hingegen weniger zurecht, erkennt nur selten die Markierungen, um etwa im Stau selbstständig zu lenken.
Auf freien Strecken fährt man den Leaf am liebsten selbst und bewegt den sprintstarken Wagen auch gerne flott. In 7,9 Sekunden wuppt ihn der 110 kW starke E-Antrieb von null auf Tempo 100, wobei vor allem die ersten Beschleunigungsmeter vom Stand weg beeindrucken. Bei 144 km/h ist aber schon Schluss. Antrittsstark und so schön leise: Leaf fahren müsste auf gestresste Außendienstler beruhigend wirken. Eigentlich. Wäre da nicht die klobige A-Säule, die uns fast schon zur Weißglut bringt. In lang gezogene Kurven verschwinden ganze Landstraßen hinterm Kunststoffblock, bestehenden aus dem zweigeteilten Dachholm und einem Miniguckloch dazwischen. Wie ein Zappelphilipp rutschen wir beim Abbiegen in der Stadt auf dem Sitz hin und her, müssen uns stets drei-, viermal vergewissern, niemanden zu übersehen. Oder war es doch viel öfters?