Autonomes Fahren Wer entscheidet in brenzligen Situationen?

Foto: Volvo

Beim autonomen Fahren ist technisch schon vieles machbar. Rechtliche und ethische Fragen sind dagegen noch offen.

Klingt klasse: "Sie kommen aus dem Büro und Ihr Audi fährt vor. Ohne Fahrer. Sie lehnen sich zurück und werfen einen Blick in die Zeitung. Ihr Auto führt Sie souverän an allen Staus vorbei und Sie gelangen schnell und stressfrei nach Hause. 2030 könnte das gut so laufen." Das sind Szenarien, die Prof. Rupert Stadler, Vorstandsvorsitzender bei Audi, entwirft. Der Mann darf schon aufgrund seiner Verantwortung den Aktionären gegenüber keine Fantastereien verbreiten. Er meint es ernst. Nicht nur bei Audi ist autonomes Fahren eines der zentralen Zukunftsthemen. Mercedes, BMW oder Volkswagen – die Hautevolee des deutschen Automobilbaus setzt auf dieses Pferd.

Doch die Vorstellung, dass ein Auto uns fährt und nicht umgekehrt, ist keinesfalls für alle verlockend. Weil nicht der Mensch, sondern eine Maschine die Entscheidung trifft, wie in Grenzsituationen reagiert werden muss. Mal angenommen, Ihr Auto droht, während Sie so schön Zeitung lesen, mit einer Touristengruppe zu kollidieren, die gerade die Straße überquert. Fährt Ihr Wagen sie über den Haufen oder entscheidet er sich, die Fahrbahn zu verlassen und an die Wand zu fahren? Ihr Leben gegen das der Touristen?

Eine bedrückende Fragestellung. Aber eine falsche, sagen unisono die Entwickler solcher Systeme. Ziel sei es doch, das Auto in die Lage zu versetzen, solche Situationen noch frühzeitiger zu erkennen, um noch rechtzeitiger abzubremsen. Und wo Rupert Stadler recht hat, hat er recht: Wir sind das Problem. "Über 90 Prozent aller Unfälle sind heute auf menschliche Fehler zurückzuführen. Das große Gefahrenpotenzial sind Situationen, in denen der Fahrer abgelenkt, überfordert oder unterfordert ist", so der Audi-Chef. Der Computer also soll es besser machen, indem seine Rechnerleistung schneller ist als die Reaktionsleistung des Gehirns

Die Ethik steckt im Algorithmus

Professor Dr. Volker Lüdemann von der Hochschule Osnabrück beschäftigt sich seit Langem mit der entscheidenden Stellschraube in solchen Systemen: "Menschen werden diese Autos programmieren müssen. Die Frage ist, nach welchen Regeln. Denn diese Regeln entscheiden darüber, was später passiert", erklärte der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler im Juni auf einem Fachforum des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) in Berlin. Moral trifft auf Mathematik, Werte auf Wissenschaft. "Die Ethik steckt im Algorithmus, der Teufel aber im Detail", so Lüdemann, der eine klare Forderung stellt: "Die Gesellschaft, nicht die Industrie, sollte entscheiden, mit welchen Vorgaben wir das selbstfahrende Auto ausstatten." Lüdemann spricht die "Goldgräberstimmung" an bei Unternehmen wie Google, die im automatisierten Fahren neue, vielversprechende Geschäftsmodelle sähen, mögliche Opfer dabei aber hinnähmen. Der Professor hält es daher für unwahrscheinlich, dass man sich international auf eine "Maschinenethik" einigen könne. Zu unterschiedlich seien Rechts- und Werteverständnisse verschiedener Gesellschaften.

Wiener Übereinkommen

Womöglich also bringt ein Inder dem Auto bei, lieber einen Passanten als eine heilige Kuh zu überfahren. Oder der Italiener will eher Kinder verschonen als Greise. Juristen sehen das Ganze nüchterner, frei von Klischees. Für sie stellt sich die Frage, wer verantwortlich sein soll, wenn etwas schiefgeht. Der Programmierer, der Hersteller, der Halter oder doch der im Auto sitzende Mensch? Bis das geklärt ist, wird es noch dauern. Das sogenannte Wiener Übereinkommen (es dient seit 1968 der internationalen Standardisierung von Verkehrsregeln) bestimmt seit zwei Jahren, dass Assistenzsysteme für autonomes Fahren nur dann zu erlauben sind, wenn sie »durch den Fahrer übersteuert oder abgeschaltet werden können«. In Deutschland hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt Ende Mai den entsprechenden Gesetzentwurf durchs Kabinett gebracht, der die Umsetzung dieser Regel hierzulande ermöglicht.

Für die Autoindustrie ist damit die Voraussetzung geschaffen, solche Systeme voranzubringen. "Der Rechtsrahmen, der für die aktuellen Assistenzsysteme gilt, ist auch für die nächsten Entwicklungsschritte eine gute Grundlage", sagt Renata Jungo Brüngger, Vorstandsmitglied bei Daimler für Integrität und Recht. "Es sind aber Anpassungen bei den technischen Vorschriften für das autonome Fahren der Zukunft notwendig."

Welche das sein könnten, darüber hat das Bundesverkehrsministerium schon konkrete Vorstellungen. Man setze sich für "weitere Änderungen" des Wiener Übereinkommens ein, heißt es dort. Nach dem Willen des Ministeriums "soll die Begriffsbestimmung des Fahrers so erweitert werden, dass ihm künftig automatisierte Systeme mit voller Kontrolle über ein Fahrzeug gleichgestellt werden."

Wo aber zwischen Mensch und Computer kein Unterschied mehr gemacht wird, ist Gegenwind vorprogrammiert. Verbraucherschützer und Juristen haben längst ihre Bedenken geäußert. Der Verkehrsminister kündigte deshalb die Gründung einer "Ethik-Kommission für autonomes Fahren" zur Ausarbeitung von Leitlinien an. Beteiligen wird sich daran natürlich auch die Automobil­industrie. Brüngger sieht die Technik angesichts fortgeschrittener Projekte wie des Mercedes F105 schon sehr weit. Zur Lösung gesellschaftlicher Anforderungen brauche man aber den breiten Diskurs: "Einige Fragen rund um das autonome Fahren, darunter auch ethische Aspekte, können die Automobilhersteller nicht allein beantworten."

Diese Fragen sind noch offen

Bis Autos fahrerlos unterwegs sein werden, haben Juristen und Gesetzgeber noch viel zu tun. Die drängendsten Probleme betreffen gleich mehrere Rechtsgebiete:

Europäisches Produkthaftungsrecht

  • Sind autonom fahrende Autos überhaupt bezahlbar, wenn ihre Hersteller eine verschärfte Produkthaftung übernehmen müssen?

Straßenverkehrsordnung

  • Lassen sich Ge- und Verbote, die persönlich von Fahrern zu beachten sind, einfach aufs autonom fahrende Auto übertragen?

Versicherungsrecht

  • Lässt sich am Prinzip der Halterhaftung festhalten?

Zulassungsrecht

  • Wie schnell lassen sich ECE-Regeln und Bestimmungen für Typengenehmigungen und Betriebszulassungen in Einklang bringen?

Datenschutzrecht

  • Welche Daten dürfen gespeichert werden und wem gehören sie eigentlich?