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Elektro-Mobilität Geht uns der Strom aus?

Geht uns der Saft aus, wenn wir plötzlich alle elektrisch fahren? Sicher nicht, die größeren Herausforderungen liegen an anderer Stelle. Etwa daran, dass ein umfassendes Stromnetz fehlt.

Ein Abend im Oktober 2020. Leise surrt Heinz Schmidt mit seinem Elektroauto nach Hause. In der Garage dockt er den Wagen an die Steckdose. Ein Display daneben meldet 20 Kilowattstunden Sonnenstrom. "Sehr schön! Batterie zu 80 Prozent voll, also noch 16 Kilowattstunden da", sagt sich Schmidt. "Aber der Autoakku ist ziemlich runter. Und heute kommt Besuch. Heißt: Essen kochen, Musik hören, Spülmaschine... das wird eng." Schmidt ruft den nächsten Menüpunkt auf: "Hohe Windstromproduktion ab zwei Uhr nachts", liest er und aktiviert die Zeitschaltuhr. Während der Hausherr im Keller verschwindet, ein Fläschchen Wein zu suchen, hat die Computersteuerung im Dachgeschoss seines Hauses schon eine Meldung an die Leitzentrale des regionalen Stromnetzbetreibers abgesetzt: Ein Auto ist angeschlossen, es kann bei Starkwind heute Nacht Strom aufnehmen.

So könnte es in zehn Jahren in Tausenden deutschen Haushalten zugehen: Ihr Haus ist keine Energie-Einbahnstraße, sie sind an ein intelligentes Stromnetz angeschlossen – im Fachjargon Smart Grid genannt. Sie sind Verbraucher, Produzenten und Speichereinheit für Strom zugleich. Über Solarzellen auf dem Dach erzeugen sie selbst Energie. Die wird direkt verbraucht, fließt in das Elektromobil, in eine kleine Batterie im Haus oder über das Stromnetz zu anderen Verbrauchern. Reicht die solare Eigenerzeugung für den Schmidtschen Bedarf nicht aus, wird wiederum Strom aus dem Netz gezogen. Aber das möglichst zu Zeiten, wenn viel Angebot da ist und die Preise niedrig sind. Die sinnvollste Variante wählen die Schmidts mit Hilfe ihrer Steuerungseinheit im Haus. Dieser Computer kennt die durchschnittlichen Verbrauchsdaten der Familie und weiß, welche Lastkurve der vierköpfige Haushalt produziert. Will heißen: Zu welchen Stunden viel und wann nur ganz wenig Strom gebraucht wird.

Außerdem weiß der Rechner, welche Stromkonsumenten auch ein paar Stündchen auf Saft warten können und steuert die dann aktiv an. So kann er Verbrauch und Produktion bei den Schmidts optimal in Einklang bringen und als Stabilisator im intelligenten Stromnetz fungieren. Denn zusammen mit vielen anderen Elektromobilen bezieht das Schmidtsche Vehikel dann Strom, wenn die Lastkurven in ganz Deutschland absinken, aber einige große Wind- oder Wasserkraftwerke auf Hochtouren produzieren.

Neue Mobilität: Bis 2020 sollen bei uns eine Million E-Autos fahren

Schöne neue, utopische Energie-Welt? Ganz sicher nicht. Wind, Sonne und Bioenergie liefern heute schon 17 Prozent unseres Stroms. Nach Berechnungen der Bundesregierung sollen es im Jahr 2020 rund 39 Prozent sein, Branchenvertreter wie der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) glauben sogar an 47 Prozent. Ein Teil dieses Stroms wird in Elektromobile fließen. Auch hier hat die Bundesregierung einen Plan: Sie will bis 2020 eine Million Stromautos auf deutschen Straßen rollen sehen. Auch hier sind die Branchenverbände optimistischer: Der Bundesverband E-Mobilität geht von bis zu 4,5 Millionen Stromflitzern aus. Angenommen, diese Ziele werden erreicht – allen bis dato nicht gelösten Fragen zu Speicher und Reichweite zum Trotz. Wäre genug Strom da, um all die Autos zu versorgen? Ja, locker. Ein E-Auto verbraucht bei 15.000 Kilometern rund 3.000 Kilowattstunden (kWh) im Jahr. 4,5 Millionen Vehikel kämen auf 13,5 Mrd. kWh. Klingt nach viel, ist aber vernachlässigenswert: In Deutschland werden jährlich rund 600 Mrd. kWh Strom produziert. Es wird aber nicht alles verbraucht, sondern sogar exportiert. Im vorigen Jahr waren es – trotz Wirtschaftskrise – gut 10 Mrd. kWh, im Jahr 2008 gar 22,5 Mrd. kWh.

Mit diesem Überschuss könnte man doch locker die E-Autos antreiben, mag mancher denken. Da ist allerdings Vorsicht angesagt. Denn der Saft für die E-Mobile sollte ausschließlich aus Regenerativenergien stammen, sonst ist für Klima- und Ressourcenschutz nichts gewonnen. Ein Auto, das mit Braunkohlestrom fährt, pustet im Schnitt satte 156 Gramm CO2 pro Kilometer in die Luft – zwar nicht aus dem Auspuff, aber über den Kraftwerksschornstein. Wer dagegen mit Windstrom unterwegs ist, verursacht nur drei bis vier Gramm CO2. Haben wir also genug sauberen Strom? Ja. 2009 flossen schon gut 93 Mrd. kWh aus erneuerbaren Quellen ins deutsche Stromnetz. Kommt deren Ausbau wie erwartet voran, werden dies in zehn Jahren nach Schätzungen des BEE gut 278 Mrd. kWh sein. Nur fünf Prozent genügen, um 4,5 Millionen E-Mobile zu versorgen.

Knackpunkte: Energie sparen und speichern

Was passiert aber, wenn alle 42 Millionen deutschen Pkw von der Zapfsäule an die Steckdose wandern? Studien gehen davon aus, dass dann 100 Mrd. kWh Strom gebraucht würden. Auch diese Größenordnung bereitet den Forschern kein wirkliches Kopfzerbrechen. Die Knackpunkte unserer künftigen Energieversorgung liegen woanders. Ein Problem: Wie viel Strom können wir durch Effizienzmaßnahmen einsparen? Zwei Zahlen des Sachverständigenrat für Umweltfragen zeigen die Schwankungsbreite: Wir könnten 550 oder 700 Mrd. kWh Elektrizität benötigen, je nachdem ob es gelingt, die Einsparpotenziale zu heben oder nicht.

Zweites Problem: Wind und Sonne sind nicht rund um die Uhr verfügbar. Wie sicher ist also unsere Stromversorgung, wenn wir nur noch erneuerbare Quellen nutzen? Eine Analyse von Umweltbundesamt und Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik rechnet vor, dass auch "100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen" funktioniert – und zwar 365 Tage. Dazu haben die Wissenschaftler reale Verbrauchsdaten für ganz Deutschland über mehrere Jahre mit der zu erwartenden Produktion aus den erneuerbaren Anlagen zusammen gerechnet. Diese Simulation zeigt allerdings auch: Wir brauchen neue Stromleitungen und mehr Speicher, um die stark schwankende Erzeugung auszugleichen. Kommen hier also die Elektroautos ins Spiel? Ja und Nein.

E-Mobile spielen eine wichtige Rolle als kurzfristiger Energiespeicher. Sie können lokale und regionale Spitzen in der Produktion abpuffern und so das Netz entlasten – wie im Beispiel der Familie Schmidt. Aber sie können nicht genug aufnehmen. Selbst wenn alle deutschen Pkw mit Strom fahren und volle Ladung ziehen, würde das nur reichen, den aktuellen Verbrauch hierzulande für sechs Stunden zu decken – natürlich vorausgesetzt, alle Autos bleiben schön an der Steckdose und speisen die einmal gespeicherte Energie komplett zurück ins Netz.

Das ist keine Option, um mögliche Windflauten über mehrere Tage zu überbrücken oder sehr große Sonnenstrommengen aufzunehmen. Die Fraunhofer-Forscher setzen deshalb gleich auf ein anderes, aufwendiges Modell: Die Umwandlung von Strom in Methan, über den Zwischenschritt Wasserstoff. So könnte man die vorhandene Infrastruktur des Gas-Transport- und Speicher-Netzes nutzen. 220 Mrd. kWh Erdgas sind derzeit in diesem System eingelagert, genug, damit Deutschlands Energiebedarf über Monate zu decken.

Erste Schritte: Wind fürs Fahrrad

Wie sich E-Autos mit erneuerbarer Energie zusammenbringen lassen, erforscht auch E-E4mobile In Schleswig-Holstein. In dieser Genossenschaft wollen Betreiber von Windkraftanlagen ihren Strom direkt vor Ort nutzen. An einem Abnehmer für den Windstrom haben die Initiatoren schon allein deshalb ein Interesse, weil im Kreis die nötige Leitungskapazität fehlt, um die erneuerbare Energie aufzunehmen. Oft müssen Anlagen runtergefahren werden, der wertvolle Ökostrom wird vergeudet. Hier – so das Konzept – könnte die Stromnutzung für E-Fahrzeuge abhelfen.

Diese Form der Direktnutzung und -vermarktung von Regenerativstrom an Flottenbetreiber wird auch andernorts Schule machen. Sie könnte sich für beide Seiten auszahlen: Für eine Kilowattstunde Windstrom bekommen die Betreiber einer Neuanlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz aktuell 9,1 Cent. Ältere Anlagen bekommen deutlich weniger; für sie wäre der Verkauf an E-Mobile besonders interessant. Und ein weiterer Synergieeffekt deutet sich an: Automobilhersteller loten gerade mit Solarmodulproduzenten aus, inwiefern ausrangierte Fahrzeugbatterien aus EMobilen weiter als Pufferspeicher für die Stromanlagen taugen könnten. So käme die Sonne gleich zwei Mal in den Tank.