Mobilität in Norwegen Mehr als nur E-Autos

Oslo Verkehr 2022 Foto: Ryhor Bruyeu (Grigory Bruev)

Norwegen gilt als Spitzenreiter der Elektromobilität und als Pionier im Bereich vernetzter Mobilität. Warum? Eine Spurensuche.

Mai 2020: Die erste Welle der Coronapandemie erreicht die Schulen und zwingt Kinder weltweit ins Homeschooling: Deutschland und viele andere Länder kämpfen mit Lernprogrammen, WLAN-Verbindungen, Onlinematerialien, Plattformen und der nötigen Hardware zu Hause. Corona hat den Status quo der Digitalisierung in jedem Land schonungslos aufgedeckt. Schüler in Norwegen haben allerdings bereits vor der Covid-19-Krise mit interaktiven Programmen gelernt. Denn das skandinavische Land gilt als vollständig digitalisiert und vernetzt.

Das zeigt sich auch bei der Mobilität. Intelligente Verkehrssteuerung und emissionsarmes Fahren gehören zum Alltag: Bis Ende 2021 werden 40 Prozent aller öffentlichen Busse in der Hauptstadt Oslo elektrisch fahren, nur noch jeder vierte Neuwagen ist in Norwegen ein Benziner. Die erste vollautonome elektrische Fähre kommt aus dem skandinavischen Land, und der Fährverkehr im Oslofjord erfolgt teilweise bereits autonom. "Sauberer, smarter, schneller – Norwegen ist weltweit Vorreiter, wenn es um den konsequenten Einsatz neuer Technologien im Bereich Mobilität geht", urteilt Manuel Kliese von Innovation Norway, der offiziellen Handelsvertretung der norwegischen Regierung im Ausland.

Wasserstoff-Fähre 2022 Foto: Norled
m Juli 2021 wurde in Hjelmeland die erste Wasserstoff-Fähre mit einem 80 Kubikmeter großen H2-Tank in Betrieb genommen. Sie hat Platz für 300 Passagiere und 80 Pkw. Prompt wurde die 82 Meter lange »MF Hydra« von einem Fachmagazin zum Schiff des Jahres gewählt.

2020 Jahr war Norwegen das erste Land weltweit, in dem mehr E-Autos als Pkw mit Verbrenner zugelassen wurden. Und schon vor fünf Jahren hatte die Regierung erklärt, ab dem Jahr 2025 keinerlei Pkw und leichte Nfz mit Verbrennungsmotor mehr verkaufen zu wollen. Was macht das Land so innovativ?

Einer, der es wissen muss, ist Trond Hovland, seit 13 Jahren CEO von ITS Norwegen. Der Verband eint alle Akteure der Transportbranche und engagiert sich für nutzerfreundliche, intelligente Mobilitäts- und Logistikdienstleistungen in Norwegen. firmenauto hat mit Hovland im Oktober auf dem ITS-Weltkongress in Hamburg gesprochen. Dort präsentierten auch mehrere skandinavische Mobilitätsdienstleister ihre Ideen, unter anderem das MIM-Projekt (siehe Infokasten), das Verkehrsdaten erhebt.

Innovation Norway Foto: Ilja C. Hendel
Stromanschlüsse am Straßenrand haben eine lange Tradition. Ursprünglich waren sie dafür gedacht, dass Autofahrer dort ihre elektrischen Standheizungen einstöpseln.

Würde man damit die in Oslo genutzten Mobilitätsarten analysieren, würde man vermutlich seit Mitte September bei einem Verkehrsmittel eine beträchtliche Delle entdecken: bei den E-Scootern. Denn deren Nutzung hat die norwegische Hauptstadt stark reglementiert, auch wenn sie vielerorts als wichtige Mikromobilitätsform gefeiert wurden. Es gab einfach zu viele Unfälle mit zu vielen Verletzten in den Notaufnahmen von Oslo. Daher beschränkt eine Verordnung die Zahl der elektrischen Roller in der Hauptstadt auf maximal 8.000, außerdem dürfen die Osloer in der Zeit von 23 bis 5 Uhr nicht mehr elektrisch rollern. Der Weg in die Mobilität der Zukunft ist eben nicht geradlinig. Es bleibt abzuwarten, ob andere Städte auch hier dem norwegischen Modell folgen.

Foto: Snøhetta Plompmozes
Norwegische Nachhaltigkeit in allen Bereichen: Am Gletscher Svartisen nördlich des Polarkreises entsteht derzeit Svart, das erste Hotel mit positiver Energiebilanz – inmitten der arktischen Natur. Geplante Eröffnung: 2023.

Auf dem Radar haben sollte man das Land weiterhin. Spannende nachhaltige Projekte gibt es da auch abseits der Verkehrswege: So entsteht derzeit das weltweit erste Hotel mit positiver Energiebilanz nördlich des Polarkreises. Und der Outdoor-Möbel-Hersteller Vestre will mit einer neuen Fabrik mitten im Wald zum umweltfreundlichsten Möbelproduzenten der Welt und ein Schaufenster für Nachhaltigkeit werden. Außerdem sollen irgendwann E-Trucks zwischen dem bestehenden Werk in Schweden und dem neuen Standort in Norwegen pendeln. Die Botschaft des Unternehmens: Grünes Wachstum ist möglich.

Trond Hovland, CEO ITS Norwegen Foto: Johannes Sveen Ekrem
Trond Hovland, CEO ITS Norwegen

Fragen an … Trond Hovland, CEO ITS Norwegen

Warum fährt Norwegen voraus, wenn es um neue Mobilitätsformen geht?

Seit den 1990er-Jahren schafft Norwegen Anreize für fossilfreie Mobilität. Dabei helfen die Einnahmen durch die Ölförderung. Seit gut zehn Jahren wurden die Incentives für E-Fahrzeuge massiv erhöht: Steuer­erleichterung, Nutzung von Busspuren, kostenloses Parken, kostenlose Nutzung von Fähren.

Mit welchem Ergebnis?

Derzeit sind 70 Prozent aller Neuwagen elektrisch, insgesamt machen E-Autos zwölf Prozent des Gesamtbestands aus. Neben politischem Willen, Anschubfinanzierung und Incentivierung hilft das Mindset: Die Mehrheit akzeptiert den Wandel. Außerdem haben wir ein sehr gutes ÖPNV-Netz, das überzeugt: In den letzten zehn Jahren wuchs die Nutzung des ÖPNV in Oslo von 40 auf 70 Prozent.

Was sind aus Ihrer Sicht die bemerkenswertesten Ansätze im Bereich der Mobilität?

Die staatliche Gesellschaft Entur sammelt Daten von geplanten Routen mit Transportmitteln in ganz Norwegen – sei es ÖPNV oder Scooter und später weitere On-Demand-Services – und stellt die Daten zur Verfügung. So können Firmen innovative Lösungen entwickeln, und dass die Daten von der öffentlichen Hand kommen, erhöht das Vertrauen immens. Außerdem haben wir mittlerweile 80 elektrische Fähren, das hat eine große Wirkung auf das gesamte Ökosystem. Zudem sollen auch autonome Fähren folgen.

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Inwieweit arbeiten die skandinavischen Länder gemeinsam an intelligenten Lösungen?

Alle skandinavischen Länder haben ihre individuellen Stärken, Finnland und Schweden etwa im Bereich MaaS (Mobility as a Service). Dänemark hat mit dem Großraum Kopenhagen stadtspezifische Herausforderungen zu lösen und die Hauptstadt in den letzten zehn Jahren in eine Fahrradstadt transformiert. Gemeinsam ist Skandinavien eine starke Region bei der Entwicklung der Mobilität von morgen.

Grüner Bonus statt Flugmeilen

Für das MIM-Projekt (Measure, Inform, Mobilise) arbeiten drei skandinavische Unternehmen und die Stadt Östersund unter der Schirmherrschaft von Nordic Innovation zusammen. Die Ausgangslage: Die Stadt will bis 2030 fossilfrei werden und die Emissionen des Personenverkehrs reduzieren. Dazu braucht sie ein Verfahren zur Messung des Verkehrsaufkommens sowie ein Tool, um dieses Verkehrsaufkommen zu beeinflussen. Die Lösung: eine App und ein korrespondierendes Monitoring, das nicht nur den Stadtplanern wertvolle Erkenntnisse bietet, sondern auch den Nutzern. Sie lernen ihr Mobilitätsverhalten kennen und können die Punkte, die sie für nachhaltige Reisen erhalten, in Vergütungen umtauschen.