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Schnellladenetze der Autohersteller Spätentwickler aus Deutschland

Mercedes Schnelladenetz 2023 Foto: Mercedes

Tesla ging bereits vor zehn Jahren mit einem eigenen Schnellladenetz an den Start. Erst jetzt folgen Audi, Mercedes und Porsche. Ist das womöglich zu spät?

Tesla feiert gerade den zehnten Geburtstag seines Supercharger-Netzwerks in Europa, da starten nun auch die hiesigen Autohersteller mit dem Bau eigener Ladeinfrastruktur. Mercedes, Audi und Porsche wollen mit eigenen Säulen oder gleich ganzen E-Auto-Lounges ihre Kunden binden und neue Käufer gewinnen. Kommt die Offensive noch rechtzeitig?

Mercedes hat ambitionierte Ziele

Besonders ambitionierte Ziele hat Anfang des Jahres Mercedes formuliert: 10.000 Ladepunkte sollen in den nächsten Jahren weltweit an Netz gehen. "Wir werden die Stationen mit 400 kW-Ladern ausstatten – die schnellsten, die aktuell zu haben sind. Damit sind wir auch fit für technische Entwicklungen in den nächsten Jahren", erläutert Eva Greiner, CTO der Charging Unit der Mercedes-Benz Mobility. Mögliche Standorte sieht sie sowohl entlang der Fernverkehrsrouten als auch in städtischen Zentren. "Gerade für Nutzer, die zu Hause keine Möglichkeit zum Laden haben." Für die USA hat der Konzern gerade Verträge mit einem Shopping-Mall-Betreiber über die Installation von Ladesäulen an rund 55 Standorten geschlossen, in China sind erste Säulen gerade in Betrieb gegangen.

Porsche Charging Lounge 2023 Foto: Porsche
Porsche lässt nur eigene Kunden an die Kabel der Charging Lounge.

Porsche setzt auf Charging-Lounges

Während Mercedes auch Autos anderer Marken ans Kabel lässt, öffnet Porsche seine "Charging Lounges" exklusiv für die Fahrer eigener Modelle. Ohne Porsche-Stromer hebt sich nicht einmal die Schranke, die die Zufahrt zu Ladesäule und angegliederter Aufenthalts-Lounge freigibt. Ob das so bleibt, da wollte sich Alexander Pollich, Porsches Deutschlandchef, während der Eröffnung in Bingen, wo die erste Anlage in der Nähe des Autobahnkreuzes A61/A60 installiert wurde, nicht festlegen. "Dies ist die erste Charging-Lounge und wir wollen in diesem dynamischen Umfeld zunächst lernen", so Pollich. Im Zuge des Pilotprojekts sind weitere Lounges geplant, jeweils mit vier bis sechs überdachten Schnellladesäulen und einem kleinen Aufenthaltsbereich, in dem sich der Porsche-Fahrer frisch machen und Getränke und kleinere Snacks aus dem Automaten kaufen kann.

Porsche Charging Lounge 2023 Foto: Porsche
Die erste Posche-Lounge hat in Bingen eröffnet.

Ladestationen zu Werbezwecken

Neben Porsche und Mercedes unterhält auch Audi erste eigene Schnellladestandorte, ebenfalls mit angegliederter Lounge. Alexander Timmer, Partner bei der Beratungsunternehmen Berylls, erwartet, dass es dabei nicht bleibt: "In Deutschland liegt das Wachstum im HPC-Schnellladen. Die Hersteller können sich diesem Trend nicht entziehen. Wir erwarten, dass neben diesen drei Herstellern weitere Autobauer mit eigenen Netzen in den Markt einsteigen." Vor allem BMW gilt als möglicher Kandidat für ein eigenes Engagement. Der Grund ist Timmer klar: "Für die Premiumhersteller sind eigene Schnellladestationen vor allem ein Schaufenster mit Werbeeffekt. Über den Stromverkauf allein dürfte sich solch eine Anlage nur in wenigen Fällen rentieren."

Audi Charging Hub Nürnberg 2023 Foto: Audi
Audi betreibt einen Charging Hub in Nürnberg.

Reservierungsfunktion nur für Kunden

Ähnlich sieht es auch Mercedes-Ladechefin Greiner, die die Stationen ganz bewusst für Fahrer von Fremdfabrikaten öffnet: „Wir wollen natürlich, dass auch die Fahrer anderer Marken mit der Marke Mercedes-Benz in Kontakt kommen und erleben, dass wir auch auf Seiten Infrastruktur etwas zu bieten haben.“ Das ultraschnelle Laden ist also auch mit einem VW möglich, genauso die Nutzung von Komfort-Diensten wie "Plug & Charge". Auf den vollen Funktionsumfang können aber nur die eigenen Kunden zurückgreifen, etwa auf eine Reservierungsfunktion, die sicherstellt, dass die gewünschte Säule bei Ankunft frei ist.

Wie Mobilfunknetze der 90er-Jahre

Für die eigenen Kunden dürften die Hersteller-Netzwerke beliebte Anlaufpunkte werden. Vor allem, weil sie sich auf das generelle Funktionieren, kontrollierbare Kosten und die Kompatibilität mit den eigenen Fahrzeugen verlassen können. Trotz des Wirrwarrs an verschiedenen Betreibern von Ladestationen arbeiten andere Unternehmen im Hintergrund daran, den Service zu verbessern, damit die Fahrer überall einen einzigen Dienst zum Aufladen nutzen können. "Man kann sich die Ladenetze in etwa so vorstellen wie die Mobilfunknetze in den 90er-Jahren. Obwohl sie technisch gesehen auf die gleiche Weise funktionieren und in den meisten Fällen miteinander kompatibel sind, ist es besser, wenn die Fahrer ihr eigenes Netz nutzen", erläutert Maxwell Philp vom Roaming-Anbieter Plugsurfing. "Problematisch wird es, wenn man sich von seinem Hauptnetz entfernt. Eine ähnliche Situation kennen wir alle von den Roaming-Gebühren auf unseren Telefonrechnungen. Um das Ladechaos zu umgehen, gibt es unabhängige Apps, wie die von Plugsurfing. Der Anbieter betreibt keine eigenen Ladestationen, sondern arbeitet mit Betreibern zusammen, um ein riesiges, europaweites Netzwerk von 550.000 Ladepunkten in 27 Ländern aufzubauen."

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Bleibt bei wenigen Anlagen

Flächendeckend dürften die Ladeangebote der Hersteller aber zumindest in Deutschland nicht mehr werden. "In Deutschland mit seiner bereits ordentlich ausgebauten HPC-Infrastruktur werden die Premiumhersteller eher einige wenige Leuchtturm-Anlagen betreiben. In Gebieten mit schwächerem Netz – etwa in Osteuropa – ist auch ein stärkeres Engagement vorstellbar", so Berylls-Experte Timmer. Generell denkt er nicht, dass die Europäer mit ihren Netzen zu Tesla aufschließen können. Die Kalifornier sind weit voraus, dürften 2028 weltweit rund 100.000 Ladepunkte betreiben. Das ist aber wohl auch gar nicht der Plan: "Ich glaube nicht, dass die Hersteller-Ladestationen sehr lange bestehen werden. Es geht eher um eine Art Entwicklungshilfe für die E-Mobilität. Darum, den eigenen Kunden schon früh ein zuverlässiges und angenehmes Ladeerlebnis zu bieten."

Auch für die Hersteller steht der eigene Kunde im Zentrum der Investitionen, nicht die Schaffung einer Infrastruktur für Europa als Selbstzweck. Mercedes-Frau Greiner malt aber auch ein größeres Bild, sieht den weltweiten Aufbau der Infrastruktur auch als Gemeinschaftsprojekt. "Die Herausforderung ist groß – und wir leisten einen Beitrag."