Unfallschaden Aus für Abrechnung per Gutachter

Gutachter Foto: Daimler

Der BGH hat der fiktiven Unfallabrechnung einen Riegel vorgeschoben. Flottenbetreiber müssen jetzt genauer prüfen, ob sie im Streitfall überhaupt noch klagen sollen.

Die sogenannte fiktive Unfallabrechnung kann eine prima Sache sein. Nach einem leichten Crash lässt der Besitzer den Schaden schätzen und den Firmenwagen in einer freien Werkstatt günstiger reparieren. Doch dieses System ist rechtlich ins Wanken geraten, denn der Bundesgerichtshof hat ein Urteil gefällt, an dem sich immer mehr Gerichte orientieren (Az.: VII ZR 46/17). Rechtsexperten wollen die fiktive Abrechnung von Haftpflichtschäden aber beibehalten. Für Fuhrparkverantwortliche bedeutet die neue Praxis, dass sie Klagen gegen Versicherer gut abwägen sollten, wollen sie nicht vor Gericht baden gehen.

Was war geschehen? Zwei Urteile stehen beispielhaft für das Dilemma der Richter. So erhielt ein Autofahrer nach einem Unfall in einer Waschstraße 3.210 Euro Schadensersatz. Der Schaden durfte fiktiv auf Basis eines Gutachtens abgerechnet werden, entschied das OLG Celle (Az.: 14 U 172/18). Pech hatte hingegen ein Taxifahrer. Ihm hatte ein anderer Autofahrer die Vorfahrt genommen. Aufgrund eines Gutachtens verlangte der Unternehmer eine höhere Entschädigung als die rund 12.000 Euro, die der Versicherer vorab bezahlt hatte. Das LG Oldenburg entschied: kein Anspruch wegen besagtem BGH-Urteil. Der Taxiunternehmer solle sich schließlich nicht am Schaden bereichern. Immerhin sei das Auto ja schon vollkommen repariert (Az.: 1 O 2175/18).

Auch das LG Darmstadt lehnte gleich in zwei Urteilen eine fiktive Abrechnung ab und bewertete sie als generelle Bereicherung. "Andere Gerichte halten diese Entscheidungen ebenso wie die des BGH für falsch", sagt Markus Wessel, Vorsitzender Richter am OLG Celle. Die Branche sei mittlerweile in heller Aufregung. Weder Versicherer noch Anwälte wollen, dass die fiktive Abrechnung gestrichen wird. Es würde für alle nur teurer werden, denn dann würden auch ältere Gebrauchtwagen in Fachwerkstätten repariert. "Dann müssten die Autoversicherer sogar die Prämien anheben. Das möchte doch niemand", sagt ADAC-Vizepräsident Gerhard Hillebrand. Die Assekuranzen bestätigen, dass die fiktive Abrechnung im Vergleich zur tatsächlichen Reparatur in der Regel günstiger ist. "Der Versicherer spart zudem bei dieser Art der Schadenregulierung Zeit und Bearbeitungsaufwand", so der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

Flottenmanager sollten deshalb bei strittigen Unfallschäden den gegnerischen Versicherer auf die problematische Rechtsprechung hinweisen und eine schnelle Einigung suchen. Als Motivationshilfe könnte der Hinweis dienen, dass der geschädigte Flottenbetreiber den Wagen ohne fiktive Abrechnung sonst teuer in einer Fachwerkstatt reparieren lässt. Bei Klagen gegen den Versicherer sollte man unbedingt die Hilfe eines Fachanwalts für Verkehrsrecht suchen. "Der Geschädigte muss weiterhin selbst entscheiden dürfen, wie er mit seinem Schaden umgeht", bringt Nicola Meier-van Laak vom Deutschen Anwaltverein diese fast einstimmige Meinung der Experten des Verkehrsgerichtstags auf den Punkt.

Jährlich werden rund 1,6 Millionen Haftpflichtschäden auf Gutachtenbasis abgerechnet. Das sind rund 40 Prozent aller Unfälle. Meist geht es um kleinere Schäden, Dellen oder Kratzer. Sicher hat der eine oder andere Autobesitzer das Prinzip missbraucht und beispielsweise mit einem alten Auto Unfälle provoziert, die dann nie repariert wurden. Doch dies sollte kein Vorwand sein, das Recht aller auf Dispositionsfreiheit zu streichen. "Wird nur noch auf Basis einer Werkstattrechnung entschädigt, würden die Betrüger eben die Rechnung fälschen", warnt Hillebrand vom ADAC. Gegen Betrüger aber hätten die Assekuranzen längst das sogenannte Hinweis- und Informationssystem (HIS) aufgebaut. Ab einer Höhe von 2.500 Euro werden fiktive Abrechnungen gespeichert, die es ermöglichen, Serientäter zu entlarven.