Das klassische Vertriebsmodell stößt beim E-Auto an seine Grenzen, die Restwerte von elektrischen Gebrauchtwagen stürzen ab. Welche Folgen das auch für Firmen-Flotten hat, zeigt eine aktuelle Analyse der Berylls Group.
Die Zahlen sind erschreckend, nicht nur in Deutschland. Gebrauchte Elektrofahrzeuge lassen sich kaum vermitteln und wenn, dann oft nur mit großen Preisabschlägen. Die Berater um Berylls-Partner Christopher Ley haben für die im vergangenen Jahr 524.000 in Deutschland neu zugelassenen E-Autos einen Restwertverlust von knapp drei Milliarden Euro errechnet.
211.000 junge Stromer ins Ausland abgeflossen
Es ist das zweite Jahr in Folge, dass das Kraftfahrtbundesamt eine interessante Anomalie vermeldet. 2023 wurden zwar 524.000 BEVS neu zugelassen, am Jahresende ist der Bestand jedoch nur um 389.000 E-Autos gewachsen. Im Jahr 2022 registrierte das Kraftfahrtbundesamt 471.000 BEV-Neuzulassungen, der E-Auto-Bestand am Jahresende hatte aber nur um 395.000 Einheiten zugenommen. Ergo: in den beiden Vorjahren sind rund 211.000 junge Stromer ins Ausland abgeflossen – und fehlen nun für die Erreichung des 15 Millionen-Ziels bis 2030.
Gebrauchte E-Autos verkaufen sich kaum
Doch was für auf den ersten Blick ärgerlich erscheint, ist nach Aussage der Analysten von Berylls, ein Segen für den deutschen Gebrauchtwagenhandel. Grund: Reine E-Autos verkaufen sich als Gebrauchte kaum, zumal die Nachfrage nach E-Autos generell sinkt.
Restwertverlust von 57 Prozent nach 3 Jahren
Die E-Autos, die nun nach rund drei Jahren Haltedauer und 60.000 km Laufleistung als Leasing- oder Abo-Auto, auf den Gebrauchtwagenmarkt kommen, haben als Neuwagen im Schnitt knapp 36.639 Euro (alle Preise netto) gekostet. Nun erreichen sie noch einen Restwert von durchschnittlich 15.798 Euro. Das bedeutet einen Wertverlust von 57 Prozent (20.840 Euro).
Staatliche Förderungen höher als Restwert-Verlust
Nach den Berechnungen der Berylls Group liegt der Wertverlust für ein durchschnittliches E-Auto um zwölf Prozent und damit rund 4.706 Euro über einem vergleichbaren Benziner. Christopher Ley, Partner bei Berylls Strategy Advisors: "Wir sehen in dieser Differenz einen Wert, der die ursprünglich ausgezahlte staatliche Förderung sogar übersteigt. Bei einem Zulassungsvolumen von 524.000 BEV in Deutschland im Jahr 2023 und unter Annahme einer vergleichbaren Restwertkurven-Entwicklung in den nächsten drei Jahren, haben wir einen Wertverlust von 2,99 Milliarden Euro errechnet. Dies ist deutlich mehr als die rund 2,4 Milliarden Euro, die 2023 insgesamt als BAFA-Förderung gezahlt wurden."
Neue, günstige E-Modelle sind große Konkurrenz
Eine horrende Summe, die sich perspektivisch nicht verringern wird, denn der Ausblick für die bestehende Secondhand-Flotte ist schlecht. Eine ähnliche Situation zeigt sich nicht nur in Deutschland. Auch in Frankreich und vor allem in Großbritannien sind die Restwerte auf dem Weg nach unten. Lediglich in Spanien stürzen die Zahlen nicht ab, liegen allerdings ebenfalls deutlich unter den Summen, die sich mit Benzin- und Dieselmodellen erzielen lassen. Neue Modelle, mit mehr Reichweite und zu günstigeren Preisen drängen auf den Markt und konkurrieren direkt mit den jungen Gebrauchten.
Preissenkungen und bessere Reichweite sind Gift für Gebrauchte
Viele gebrauchte E-Autos sind große und teure SUV, sie fallen nicht in die Kategorie Massenmarkt, was sie für viele Gebrauchtkäufer uninteressant macht. Erschwerend kommt der beginnende Preiskampf hinzu. Rabatte und Preissenkungen für Neuwagen lassen die Anschaffungskosten für einen Neuen, an die für einen Gebrauchten heranschrumpfen. Nach Einschätzung der Berylls-Experten, gibt es für die aktuelle BEV-Generation kaum Hoffnung am Gebrauchtwagenmarkt. Hier können lediglich die immensen Verluste minimiert werden.
Fuhrparks warten ab
"Wir sehen an den stagnierenden – in manchen Ländern sinkenden – Zulassungszahlen von neuen Elektrofahrzeugen eine Abwartungshaltung bei privaten und professionellen Kunden wie Flotten und Vermietern. Und das obwohl die Hersteller aktuell teilweise massiv Neuwagen mit Preisnachlässen versehen. Es scheint, dass der noch nicht vollständig entwickelte Gebrauchtwagenmarkt einen Einfluss auf den Markt für neue Elektrofahrzeuge hat", so Ley.
Auswirkungen auf Firmen-Flotten
Da Flottenkunden eher auf Nicht-Eigentumsmodelle wie (Operating-) Lease oder Subscription setzen, ist das laut Ley die derzeit wohl richtige Strategie in Sachen E-Autos. Allerdings scheuen die Leasinganbieter seiner Meinung nach auch die schlechten Restwerte und tendieren dazu, die Leasingraten zu erhöhen. Gleichzeitig haben Leasinganbieter, genau wie die Fuhrparkleiter selbst, auch regulatorischen Druck, die CO2-Emissionen in der Flotte zu reduzieren. Das erreichen Sie nur durch eine höhere BEV-Quote – und das könnte wiederum einen Verhandlungsspielraum für Flottenverantwortliche ergeben, so der Experte.
Gebrauchte E-Autos als Alternative für Flottenkunden?
Eine Alternative könnte – je nach spezifischer Flottennutzung – auch der Einsatz von gebrauchten E-Autos in den Flotten sein. Da Leasinggeber verstärkt in den sogenannten "Multi-Cycle" einsteigen wollen, um eben hohe Restwertverluste zu vermeiden, könnte das eine gute Chance für Flottenkunden bzw. Fuhrparkleiter sein, gegebenenfalls preislich gute Deals an Land zu ziehen. "Insbesondere bei Subscription oder Flex-Lease-Angeboten könnte hier der Win-Win am höchsten sein", betont Ley.
Vertriebsmodelle müssten radikal verändert werden
Für die Zukunft empfehlen die Fachleute, um Christopher Ley möglichst schnell auf ein völlig neues Fahrzeugvertriebsmodell umzusteigen. Weg vom "Verkaufen und Vergessen", wie es heute praktiziert wird, hin zum Multizyklus-Vertrieb, bei dem die Fahrzeuge auch in zweiter und dritter Hand an die Nutzer verleast oder im Abo vermietet werden, aber im Besitz des Herstellers oder großer Leasingfirmen bleiben.
Restwertrisiko minimieren, Recyclingquoten erfüllen
Die massenhafte Vermarktung gebrauchter Fahrzeuge gehört laut Berylls bislang nicht zu den Kernkompetenzen der Hersteller. Darüber hinaus ließe sich die Wertschöpfung am Fahrzeug über einen langen Zeitraum aufrechterhalten, das Restwertrisiko deutlich mindern und die Kontrolle über die wertvollen Batteriematerialien in der Hand behalten. Ein enormer Vorteil für die Hersteller, wenn es darum geht, Recyclingquoten zu erfüllen, die der Gesetzgeber bei der Akkuproduktion vorschreibt.