Fahrzeug-Updates over the air Rollende Computer

Meet the S-Class DIGITAL: „Luxury & Well-Being”: Persönliche Wohlfühloase: Angenehm reisen und fit bleiben

Meet the S-Class DIGITAL: "Luxury & Well-Being": Personal wellness oasis: Comfortable travel while staying fit Foto: Mercedes-Benz AG - Global Commun

Die Technik im Firmenwagen ist ein zentrales Verkaufsargument. Die Hersteller nehmen sich Tesla zum Maßstab und setzen zur Aufholjagd bei der Software an. Die Idee, das Fahrzeug ständig per Update zu verbessern, könnte zum entscheidenden Wettbewerbskriterium werden.

Hätte jemand in den vergangenen zehn Jahren jedes Mal, wenn ein Automanager vom Smartphone auf Rädern sprach, fünf Euro zur Seite gelegt, müsste er langsam einen Vermögensverwalter einstellen. Jeder Schritt, Auto und Internet zu verbandeln, wurde als Vorbote einer glänzenden, jedenfalls vernetzten Zukunft gefeiert, selbst wenn es nur die E-Mail vom Handy war, die plötzlich auch im Armaturenbrett auftauchte. Die wirkliche Revolution aber steht fast der ganzen Branche erst noch bevor.

Mit großen Gesten und ehrgeizigen Ankündigungen haben Hersteller und große Zulieferer in jüngster Zeit die Software ins Zentrum ihrer künftigen Entwicklungsarbeit gerückt. Daimler und VW etwa wollen in den nächsten vier bis fünf Jahren grundlegend neue Betriebssysteme für ihre Autos einführen.

Der Pionier Tesla hat mit seinen Stromautos vorgemacht, wie die Metapher vom rollenden Smartphone konsequent interpretiert wird. Wie das Handy mit neuen Apps, so wird auch das Auto ständig verbessert. Dabei geht es um weit mehr als nebensächliche Spielereien wie den Romantikmodus, der die Sitzheizung startet und ein Kaminfeuer auf dem Bildschirm entzündet. Selbst grundlegende Funktionen wie mehr Motorleistung, höhere Akkureichweite, zusätzliche Einparkhilfen oder das One-Pedal-Driving, das Gas und Bremse in einem Pedal vereint, werden per Software-Update hinzugefügt. Over the air findet das statt, also über das mobile Internet, mal kostenlos zur Pflege der Kundenbeziehung, mal gegen Bezahlung.

Die Idee permanenter Updates fürs Auto stand auch im Mittelpunkt, als Daimler vor wenigen Wochen verkündete, seine Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Prozessor- und Softwareriesen Nvidia zu intensivieren. "Der Kauf des Autos ist nur der Startpunkt, danach arbeiten Tausende von Ingenieuren daran, es immer weiterzuentwickeln", sagte Nvidia-Chef Jensen Huang und brachte das Ziel auf eine griffige Formel: "Das Auto, das man weiterverkauft, wird besser sein, als es der Neuwagen war."

Selbst einen Oldtimer, der nach 20 Jahren auf der Straße über modernste Technik verfügt, kann sich Huang vorstellen. Ein Selbstzweck ist das freilich nicht. Daimler-Chef Ola Källenius sieht im Verkauf zusätzlicher Funktionen und Services ein Geschäft, das "relativ schnell ein Volumen von mehreren Hundert Millionen Euro erreichen kann".

Mit Nvidia als Partner hat das Stuttgarter Unternehmen schon das 2018 vorgestellte Multimedia-System MBUX (Mercedes Benz User Experience) entwickelt. Die neueste Version davon steckt in der neuen S-Klasse, die Anfang September präsentiert wird. Dazu gehören unter anderem ein Tesla-ähnlicher Großmonitor zwischen Fahrer und Beifahrer, ein Fingerabdruck­sensor zur Personalisierung aller Einstellungen und ein virtuelles Display, das beispielsweise die Pfeile des Naviga­tionsgerätes direkt im Blickfeld des Fahrers auf die Straße projiziert. Aus dem Wissen, dass der S-Klassen-Hauptnutzer häufig nicht am Steuer, sondern im Fond sitzt, sind auch die hinteren Plätze mit großen Bildschirmen versehen.

Foto: Mercedes-Benz AG - Global Commun
In der neuen S-Klasse nutzen auch die Fond-Passagiere das komplexe Bediensystem MBUX. Auf gleich drei Bildschirmen laufen alle Unterhaltungs- und Businesslösungen. Über Online-Updates kann Mercedes neue Angebote aufspielen.

Die weitere Entwicklungsagenda sieht vor, dass mit Nvidia vor allem die Fahrerassistenzsysteme im ­Mercedes ausgebaut werden. Daimlers Umwälzungswille bei der Software aber geht darüber hinaus. Ola Källenius will die komplette Bordelektronik mit einem eigenen Betriebssystem neu aufsetzen. Man müsse sich das wie ein ­Windows für Mercedes vorstellen, sagte er bei der Jahrespressekonferenz. Von 2024 an soll es ausgerollt werden.

"Viele denken beim Stichwort 'Digitalisierung' nur an Navigation, Sprachsteuerung, Musik oder Telefonie", sagt Källenius. "Wir beziehen Software-Architektur auf das komplette Fahrzeug, vom Bremssystem über die Ansteuerung des Antriebs und der Airbags bis hin zu Infotainment. Alles ist da inkludiert", führte der Schwede in einem "Handelsblatt"-Interview aus.

Wo bisher Dutzende von Steuergeräten mit jeweils eigenen Programmen die Arbeit am Fensterheber oder an der Zündung verrichten, soll künftig alles über einen oder einige wenige Zentralrechner laufen. Die Hoheit über dieses digitale Rückgrat des Fahrzeugs will sich ­Daimler in vollem Umfang bewahren. Denn die Wertschöpfung wird künftig auch davon abhängen, wie geschickt man die dort entstehenden Daten analysiert und nutzt, beispielsweise, um Autopilot-Systeme zu verbessern.

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Tesla ist auch hier weit voraus. Die 500.000 amerikanischen Autos auf den Straßen arbeiteten "wie ein neuronales Netz, das kontinuierlich Daten sammelt", stellte VW-Chef Herbert Diess anerkennend fest. Bei ­Volkswagen soll die Aufholjagd in der konzerneigenen Car.Software.Org gelingen, in die wohl auch das Stuttgarter Unternehmen Diconium integriert wird – ein Spezialist für digitale Vertriebslösungen, den VW übernommen hat. Bis 2025 soll der Anteil eigener Software in den Autos von derzeit zehn auf 60 Prozent erhöht werden.

Während die Komplexität der Antriebe durch die Elektromobilität abnimmt, wird Software als Differenzierungsmerkmal der Marken wichtiger. Der Kampf um die besten Lösungen ist in vollem Gang. Das zeigt auch das Beispiel Bosch. Der weltgrößte Zulieferer bündelt 17.000 Mit­arbeiter aus allen Sparten der Fahrzeugelek­tronik und -software im neuen Geschäftsbereich Cross-Domain Computing Solutions und sieht den Markt für Programmcodes im Auto um jährlich 15 Prozent wachsen.

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Auch die US-Digitalriesen mischen mit. Die Volvo-Tochter Polestar, Hersteller von Elektro-SUVs, setzt komplett auf das von Google gelieferte System Android Auto. Amazon kooperiert in verschiedenen Domänen mit ­Mercedes und VW. Die Wege zur Digitalisierung des Autos sind vielfältig. Aber keiner führt zurück.

Vorreiter Tesla

Tesla gilt als erster Autohersteller, der die Software ins Zentrum der Entwicklung gestellt hat. Per Update liefern die Amerikaner ihren Kunden stetig verbesserte Technik, manchmal aber auch nur lustige Spielereien. Im operativen Geschäft macht Tesla bisher keinen Gewinn. Trotzdem kann Firmenchef Elon Musk schwarze Zahlen vorweisen. Tesla nimmt Hunderte von Millionen Dollar durch den Verkauf von Emissionsrechten an andere Hersteller ein. Die Tesla-Aktie hat einen gewaltigen Höhenflug hinter sich und stand dieses Jahr teilweise bei 1.500 Dollar, weit höher als die aller anderen Autohersteller. Tesla reagiert auf den Boom jetzt mit einem Aktiensplit: Für jeden Anteilsschein gibt es fünf neue.