Klassiker der Chefetage (Typen 219, 220, 220 S/SE) 70 Jahre Mercedes-Benz S-Klasse

Mercedes Benz 220 SE S-Klasse Foto: Mercedes 13 Bilder

Mit der Mercedes-Benz S-Klasse bekam das deutsche Wirtschaftswunder ein neues Status-Symbol für Politiker und Firmenchefs. Ein Rückblick.

Vor 70 Jahren trug der neue Mercedes-Benz 220 (W180) trotz moderner Pontonform einen stolz erhobenen Stern auf seinem damals noch fast senkrecht stehenden Chromkühler. Prompt fühlten sich manche Journalisten an die hoch aufragenden, qualmenden Schlote von Zechen und Fabriken des deutschen Wirtschaftswunders erinnert – und tatsächlich könnte es vielen Firmenbossen und Politikern ähnlich ergangen sein.

Cadillac und Opel Kapitän gehörten in andere Klasse

Jedenfalls avancierte der S-Klasse-Pionier zum Statussymbol der Arrivierten, und der barocke BMW 501, der Borgward 2400, der pompöse Cadillac und der billige Opel Kapitän spielten plötzlich in einer anderen Liga. Was dem altertümlich designten Mercedes 220 der vorhergehenden Baureihe W187 nicht gelang, schaffte nun die fortschrittliche Typen-Familie von 220, 220 S und 220 SE: Überlegene Klasse zeigen. Die Bürger verdienten im Schnitt knapp 4.000 Mark im Jahr, das reichte vielleicht, um sich einen Volkswagen zu leisten. Der Sechszylinder-Benz kostete so viel wie drei Käfer, auch deshalb genoss der 220 das Image eines Leitsterns, der nur von Kanzler Adenauers 300er getoppt wurde.

Mercedes Benz 220 S-Klasse Foto: Mercedes
Als der Oberklasse-Benz die Rallyeszene rockte – 1956 wurde der Mercedes 220 Europameister.

Die S-Klasse steht für "Super" oder "Spezial"

Schon lange vor der 1972 offiziell eingeführten Bezeichnung S-Klasse bildeten luxuriöse Modelle einen Schwerpunkt im Mercedes-Programm. Das "S" debütierte 1949 mit dem 170 S und bekam die Bedeutung "Super" oder "Spezial", wird jedoch erst seit dem 1956 eingeführten, 4,72 Meter langen 220 S (W180) konsequent in der Oberklasse verwendet. Denn die Baureihe W180 machte damals alles anders im automobilen Oberhaus, zeigte sich revolutionär wie Bill Haley und Elvis Presley, die neu entdeckten Rock-‘n‘-Roll-Stars des Jahres 1954.

Ponton – so wie eine schnittige Yacht

Vorbei die Formen der Vorkriegszeit, der frische Ponton-Stil sollte "eine Freude für das Auge" sein, "rassig wie eine schnittige Yacht", jubelte die Werbung, die sogar meinte, der Typ 220 sei "ein Wagen für alle, die sich in ihr Automobil verlieben können. Er ist schneller… liegt dank guter Bodenhaftung und Kurvenfestigkeit auf der Straße, dass es Freude macht, die gestoppte Spitzengeschwindigkeit von 150 km auszunutzen". So viel Emotionalität und Stolz auf sportliche Talente kannte man sonst von Jaguar oder Alfa Romeo, aber nicht von den eher steifen Schwaben.

Mercedes Benz Ponton S-Klasse Foto: Mercedes
Stilprägend – Die Pontonform löste auch in der Sechszylinder-Liga die geschwungenen Vorkriegs- Kotflügel ab.

Leistungsstarke Bremsanlage

Hinzu kam eine leistungsstarke Bremsanlage mit verrippten Trommeln. Nicht zu vergessen die "Hochleistungsmotoren mit geschmeidigem Temperament", wie Fachmedien die zwischen 85 PS und 115 PS abgebenden 2,2-Liter-Sechszylinder in den Typen 220 bis 220 SE lobten.

Liebhaber-Preise

Welche Preise ein Mercedes 220 S heute erzielt, erklärt Martin Heinze von der Bewertungsorganisation Classic Analytics: "Mit den Ponton-Sechszylindern rückte Mercedes ab vom Vorkriegsdesign der Vorgängermodelle, gleichzeitig behielt man aber die optische Nähe zu den günstigeren Vierzylinder-Modellen – wer repräsentieren wollte, musste daher zwangsläufig zum exorbitant teuren 300er ‚Adenauer‘ greifen. Diese dezente Form des Luxus hat durchaus noch Liebhaber, die für einen 220 S im guten Zustand mindestens 36.900 Euro zahlen."

70 Jahre Ford Taunus 12 M
Paukenschlag mit Pontonform

Kurzcharakteristik

Chronik:

1903: Die von Wilhelm Maybach entwickelte luxuriöse Reiselimousine Mercedes-Simplex 60 PS bricht mit dem Konzept bisheriger Motorkutschen und macht das Automobil gesellschaftsfähig. Außerdem etabliert der Typ Simplex 60 PS den Namen Mercedes als neues Symbol für automobilen Luxus. Bis 1945 werden insgesamt rund 25.000 Fahrzeuge der Mercedes-Oberklasse gebaut.

1924: Nach dem Ersten Weltkrieg setzen Mercedes-Modelle neue Akzente und Maßstäbe in der Oberklasse, zunächst mit den Ende 1924 vorgestellten Sechszylinder-Kompressor-Typen 15/70/100 PS und 24/100/140 PS, ab 1928 mit dem Typ Nürburg 460 (W 08), ab 1931 mit dem Typ Mannheim 370 (W10) und ab 1933 mit dem Modell 290 (W18) sowie 1937 mit dem Typ 320 (W142). Oberhalb dieser Luxusklasse positioniert ist nur der staatstragende "Große Mercedes".

1949: Bei der Präsentation des Mercedes 170 S erläutert der Daimler-Benz-Vorstandsvorsitzende Wilhelm Haspel die Modellbezeichnung "S" als Kürzel für "Super" oder "Spezial". Der Borgward Hansa 1500 wird als erste deutsche Limousine mit Pontonkarosserie eingeführt.

1950: Zum Jahresende wird die Entwicklung des Nachfolgers für die konstruktiv noch aus der Vorkriegszeit stammenden Mercedes-Benz-Modelle 170 V und 170 S (W136) vorangetrieben, dies unter dem Entwicklungscode W120 für den künftigen Vierzylinder-Typ 180, die neuartige Pontonform wird aber erst im Sommer 1952 definiert. Der spätere Mercedes 220 setzte ebenfalls auf den mit dem Modell 180 lancierten Pontonstil.

1951: Im selben Jahr, in dem Bundeskanzler Konrad Adenauers Repräsentationslimousine Mercedes-Benz 300 (W186, W189) vorgestellt wird, legt die Limousine 220 (W187) den Grundstein für die Mercedes-Oberklasse der Nachkriegsära. Bis heute wurden insgesamt bereits über vier Millionen S-Klasse-Limousinen verkauft. Ebenfalls 1951 debütiert der BMW 501 mit Sechszylinder.

1952: Der Borgward Hansa 2400 mit aerodynamischer Pontonform und 82 PS starkem Sechszylinder wird eingeführt, kann aber nur eine Nischenrolle am Markt ausfüllen.

1953: Im Juli Serienanlauf des Mercedes-Benz 180 (W120) in hochmodischer Pontonform als Nachfolger des Typs 170 Sb, aber noch mit dem 1,8-Liter-Benziner des Vorgängers. Die Markteinführung erfolgt im September.

1954: Die im März auf dem Genfer Salon vorgestellte neue Limousine 220 (intern 220 a oder W180 genannt) ist der erste Sechszylinder-Mercedes mit selbsttragendem Aufbau und modischer Ponton-Karosserie. Optisch sieht der Mercedes 220 dem kleineren 180 fast zum Verwechseln ähnlich. Der 220 bietet allerdings 17 Zentimeter mehr Radstand, davon kommen sieben Zentimeter dem Platzangebot im Fahrzeugfond zugute. Zehn Zentimeter werden für den verlängerten Motorraum benötigt, um den 85 PS leistenden Sechszylinder-Benziner unterzubringen. Markant sind die vorderen Blinker, die im Gegensatz zum Mercedes 180 in verchromten Kapseln ganz vorn oben auf den Kotflügel befestigt sind. Während der Mercedes 220 die Vorderradaufhängung vom Modell 180 adaptiert, ist die Hinterradaufhängung eine Neukonstruktion. Dabei nutzen die Ingenieure erstmals reinrassige Rennwagentechnik, denn die für den Grand-Prix-Renner W196 konstruierte Eingelenkpendelachse mit tiefliegenden Drehpunkt bewirkt von der Fachpresse als vorbildlich bewertete Fahreigenschaften. Der 220 verfügt über verrippte Bremstrommeln mit sogenannter Turbokühlung an allen vier Rädern. In der Oberklasse bestätigt sich in Deutschland der relativ preiswerte Opel Kapitän als Bestseller, der seit drei Jahren angebotene, kostspielige BMW 501 spielt ebenso wie der BMW 502 nur eine Nebenrolle.

1955: Der Bremskraftverstärker ist serienmäßig.

1956: Walter Schock und Rolf Moll gewinnen auf Mercedes 220 die Rallye-Europameisterschaft für Tourenwagen. Bei der Mille Miglia startet ein Mercedes 220 S. Im März debütieren die neuen Typen 219 und 220 S. Dabei ersetzt der 220 S (W180 II) den bisherigen 220. Tatsächlich handelt es sich beim 220 S aber nur um eine Modellpflege mit nun 100 PS starkem Motor dank zweier Register-Vergaser. Optisch ist der 220 S an einer zusätzlichen Zierleiste von seinem Vorgänger zu differenzieren. Die Sicke an den vorderen Kotflügeln und Türen wird durch einen dünnen Chromstreifen dekoriert. Der ebenfalls neue Mercedes 219 (W105) entsteht durch Kombination der Typen 190 und 220 und übernimmt die Rolle des einfach ausgestatteten und billigeren Sechszylindermodells, um Opel-Kapitän-Käufer anzuziehen. Das Triebwerk stammt vom Mercedes 220, Fahrwerk, Karosserie (ab der A-Säule) und Interieur vom Vierzylinder-Modell Mercedes 190. In den Abmessungen bewegt sich der Mercedes 219 zwischen Mercedes 190 und 220 S. Ab der Einführung des Typs Mercedes-Benz 220 S wird der Buchstabe S in der Mercedes-Oberklasse konsequent verwendet. Neu im Juli 1956 ist außerdem das Mercedes 220 S Cabriolet, gefolgt im Oktober 1956 vom 220 S Coupé. Für beide Karosserievarianten, die vom viertürigen Mercedes 220 S abgeleitet sind, weist die Preisliste jeweils 21.500 Mark aus.

1957: Im August erhalten beide Sechszylinder-Mercedes eine Leistungsspritze – fünf PS mehr beim Typ 219 und sechs PS mehr beim 220 S – durch Anhebung der Verdichtung auf 8,7:1. Aufgefrischt zeigt sich das Interieur, äußerlich fallen die modifizierten Stoßfänger auf, die nun für die neu eingeführten DIN-Kennzeichen (ersetzen die bisherigen "Zonen-Kennzeichen") passende Halter tragen. Komfort wie in US-Modellen soll die neue, optionale automatische Kupplung "Hydrak" bieten. Hydrak kombinierte eine hydraulische Kupplung zum Anfahren und eine konventionelle Einscheiben-Trockenkupplung beim Gangwechsel.

1958: Für Sonderklasse-Status steht die erste S-Klasse mit damals noch innovativer, leistungssteigernder Benzineinspritzung, der 220 SE (W128). Vorgestellt im September, wird der 220 SE ab November ausgeliefert. Dank der Saugrohreinspritzung leistet der 2,2-Liter Sechszylinder nun 115 PS, der Verbrauch sinkt etwas, allerdings beträgt der Aufpreis für die Einspritzung beachtliche 1.900 Mark. Mit bis Ende 1959 nur 1.974 gebauten Exemplaren bleibt der 220 SE der seltenste Typ der Baureihe. Ein Autotelefon ist als Extra für alle Ponton-Mercedes bestellbar.

1959: Die Mercedes-Modelle 220b (95 PS), 220 S (110 PS) und 220 SE (mit Saugrohreinspritzung 120 PS), Baureihe W111, debütieren mit der weltweit ersten crashtestgeprüften und patentierten Sicherheitskarosserie mit Knautschzonen vorn und hinten. Im Interieur "entschärfte" Ausstattung mit Prallpolstern und patentierten Keilzapfen-Türschlössern mit zwei Sicherheitsrasten. Publikumspremiere auf der Frankfurter IAA im September. Von den Pontonmodellen mit Sechszylinder – Mercedes-Benz 219/220/220 S/220 SE, Baureihen W105/W180/W128 (1954 bis 1959) – wurden 111.035 Limousinen verkauft, davon 55.279 Einheiten als 220 S und nur 27.845 Einheiten als Mercedes 219 sowie 1.974 Einheiten als Mercedes 220 SE.

1960: Mercedes 220 S/SE Coupé und Cabriolet (W180/W120) laufen aus.

1962: Im Oktober endet auch für den Vierzylinder-Ponton Mercedes-Benz 180 die Produktion.

2024: Das Jubiläum 70 Jahre Mercedes-Benz 220 "Ponton" wird bei zahlreichen Club-Events und Klassiker-Messen zelebriert.

Wichtige Motorisierungen

Typ 220 (1954-1956): 2,2-Liter-Sechszylinder-Benziner (85 PS)
Typ 220 S (1956-1959): 2,2-Liter-Sechszylinder-Benziner (100 PS bzw. 106 PS)
Typ 220 SE (1958-1959): 2,2-Liter-Sechszylinder-Benziner (115 PS)
Typ 219 (1956-1959): 2,2-Liter-Sechszylinder-Benziner (85 PS)