Im neuen Golf setzt VW voll auf digitale Anwendungen. Das macht alles neu, aber nicht unbedingt besser. In vielen Punkten bleibt sich das Weltauto aber auch treu.
Wischen und tatschen statt drücken und drehen – mit der achten Generation des Golfs stellt Volkswagen die Kunden vor neue Herausforderungen. Nicht weil das Auto größer, schneller oder unübersichtlicher geworden wäre. Sondern weil in allen Versionen digitale, individuell konfigurierbare Anzeigen die klassischen Rundinstrumente ersetzen. So wird der Golf zum Auto ohne Schalter und Tasten, sein Fahrer kann den Begriff Armaturenbrett aus seinem Wortschatz streichen. Fortan steuert er fast alle Funktionen über einen serienmäßigen 10-Zoll-Touchscreen. Nur Lautstärke und Temperatur der Klimaanlage lassen sich direkt verstellen, indem man mit dem Finger über eine Leiste unter dem Infotainment-Bildschirm wischt.
Was erstmal gut klingt, ist doch ziemlich gewöhnungsbedürftig – selbst für den erfahrenen Autotester. Hat man erst den Home-Button in Form eines Rechtecks auf der linken Seite des Touchscreens gefunden, erklärt sich das Menü zwar von selbst. Klimaanlage, Musik, Assistenten – jeder Bereich bekommt seine eigene App, ähnlich wie auf einem Tablet oder Smartphone. Schneller bedienen lässt sich das Auto dadurch aber nicht. Beispiel Sitzheizung. Bisher drückte man einmal auf die Taste, schon lief der Popowärmer. Jetzt braucht es zwei Klicks im Klimamenü. Auch ein schneller, direkter Zugriff auf den Umluftschalter fehlt.
Natürlich gibt’s alternativ eine Sprachbedienung. Doch bis das System auf "Hallo Volkswagen" und "ich habe kalte Füße" reagiert, hat man sich auch durch die Klima-App geklickt. Warum nicht "Hallo VW"? Das wären schon mal zwei Silben weniger. Außerdem hat die Spracherkennung noch Defizite. Die Aufforderung "Spiele Led Zeppelin" beispielsweise beantwortete das System mit einer Liste aller nahegelegenen Zahnärzte. Aber vielleicht verbessert Amazons Alexa die Erkennungsqualität, wenn sie von VW im Laufe des nächsten Jahres nachgerüstet wird. Und tatsächlich gibt es auch Positives zum digitalen Arbeitsplatz zu vermelden. So erleichtern eindeutige beschriftete Menüpunkte wie "Füße wärmen" oder "Beschlagene Scheiben" die Bedienung. Oder dass sich das iPhone nun kabellos per Bluetooth mit Apple Car Play verbindet. Und ganz nebenbei warnt der Golf per Car2x nun andere Autos in der Nähe vor Gefahren, etwa bei einem Unfall oder Glatteis.
Der durchschnittliche Computernutzer mag mit der digitalen Golf-Welt zurechtkommen. Doch ob der Schritt zum volldigitalen Bedienkonzept ausgerechnet bei einem Weltauto der richtige Weg ist, bleibt abzuwarten. Unbedarfte Gelegenheitsfahrer könnten daran ebenso scheitern wie viele ältere Menschen.
Warum VW den Schritt geht? Zum einen sind Bildschirme auf lange Sicht günstiger als klassische Instrumente, Schalter und Tasten. Zum anderen bringt die Technik neue Verkaufsmöglichkeiten. Da jeder Golf standardmäßig online ist, soll sein Besitzer übers Volkswagen-We-Portal jederzeit nachträglich zusätzliche Dienstleistungen ordern können. Navi oder Sprachsteuerung lassen sich ebenso over the air ins Auto einspielen wie Fahrzeugfunktionen. Beispielsweise der Abstandstempomat oder das Matrixlicht, das die LED der Scheinwerfer je nach Verkehrslage einzeln an und ausknipst. So eröffnet die Digitalisierung eine völlig neue Welt. Dem Nutzer, der den Schlüssel ins Smartphone integriert und seine Fahrzeugeinstellungen in der Cloud speichert. Und dem Fuhrparkverantwortlichen, dem ein Flottentool samt elektronischem Fahrten- und Tankbuch, Fahrstilüberwachung und Wartungsmanagement alle Daten liefert.
Bei so vielen Neuerungen in der Fahrerkabine ist es beruhigend, dass sich der Golf in allen anderen Disziplinen treu bleibt. Da er auf dem gleichen Baukasten aufbaut wie sein Vorgänger, haben sich Abmessungen und Platzangebot praktisch nicht geändert. Und dass VW bei einem weltweit alle 40 Sekunden verkauften Auto in Sachen Optik keine Experimente macht, ist klar. Golf acht sieht wenig anders aus als Golf sieben als Golf sechs und so fort.
Das sich doch etwas getan hat, merkt man schon nach wenigen Metern. Läuft der Motor? Ja, nur verdammt leise. War da ein Schlagloch? Kaum zu spüren. Die Sitze sind bequem wie eh und je, beim Einparken beschränkt keine hohe Kante die Sicht nach hinten und die Steuerung reagiert präzise auf jedes Zucken am Lenkrad. Einen Golf fährt man, ohne übers Fahren nachzudenken.
Die Ausstattungslinien wurden neu geordnet und teilweise aufgewertet. Das Basismodell heißt nun schlicht Golf und kommt immer mit Multifunktionslenkrad, Klimaautomatik, Spurhalter und Abbiegeassistent sowie digitalen Instrumenten. Darüber rangieren Life und Style, die Comfort- und Highline ersetzen, während die sportliche R-Line die bisherigen R-Pakete zusammenfasst.
Acht Motorisierungen mit 90 bis über 300 PS hat VW angekündigt, darunter zwei Plug-in Hybride (204/245 PS) sowie eine Erdgasversion. Wichtigste Neuerung ist die Einführung der 48-Volt-Technik bei den Benzinern mit DSG-Getriebe. Geht der Fahrer auf der Autobahn vom Gas, schaltet sich der Motor komplett aus und rollt im Freilauf, bis der Fahrer bremst oder wieder aufs Pedal drückt. Außerdem unterstützt der integrierte Riemen-Starter-Generator wie ein kleiner E-Motor den Verbrenner beim Anfahren, was in Summe zehn Prozent Sprit sparen soll.
Beim Diesel ging’s den Ingenieuren dagegen mehr um die Emissionen. Deshalb wird nun an zwei Stellen Adblue eingespritzt. Das soll die Stickoxid-Werte um bis zu 80 Prozent senken. Während die Leistung des 2.0 TDI unverändert bleibt (115/150 PS), steigt das Drehmoment auf 300 beziehungsweise 360 Nm. Erster Eindruck nach unserer Ausfahrt im 150-PS-TDI: Der drehfreudige TDI hängt noch bissiger am Gas als bisher. Mehr Leistung braucht man nicht. Falls doch: GTI und GTD folgen Ende 2020, ein Golf R ist ebenfalls in Planung.
Das Basismodell mit dem noch nicht lieferbaren 1.0 TSI (90 PS) soll 16.800 Euro netto kosten. Das wären rund 450 Euro mehr als bisher. Zum Verkaufsstart stehen erstmal die stärkeren Versionen in der Preisliste. Der 1.5 TSI mit 130 kostet 23.110 Euro (vorher 21.537 Euro). Der vorerst günstigste Diesel 2.0 TDI (115 PS) startet bei exakt 24.500 Euro netto (Vorgänger: 20.590 Euro).