30 Jahre Mercedes S-Klasse (W 140) Seiner Zeit voraus

Mercedes 600 SEC C140 1992 Foto: Daimler 9 Bilder

Diese S-Klasse wagte technologische Zukunft und galt als "bestes Auto der Welt". Trotzdem gab es ausgerechnet im Heimatmarkt Kritik für diesen üppig dimensionierten Dienstwagen von Bundeskanzler Kohl.

Zehn Jahre später hätte kaum jemand kritische Worte über das nur scheinbar gigantische Format und Gewicht der Mercedes-Benz S-Klasse (W 140) verloren. So aber bezeichneten Medien die 1991 vorgestellte Typenfamilie 300 SE bis 600 SEL zwar als "bestes Auto aller Zeiten", gleichzeitig gab es jedoch süffisante Anmerkungen der Art, dass der bis 5,21 Meter lange, bis zu 2,6 Tonnen schwere und mit 1,50 Meter rekordverdächtig hohe "Riesen-Dampfer" Limousinen wie den BMW 7er "wie einen Magersüchtigen ausschauen lässt". Tatsächlich übertrumpfte die Mercedes S-Klasse die Oberklasse – vor allem aber durch technologischen Fortschritt und detailverliebte Finesse wie den elektrisch verstellbaren Innenspiegel und einen automatischen Griff für den Kofferraumdeckel.

Als erster Mercedes-Serien-Pkw fuhr der 600 SE mit einem V12-Motor vor, der monumentale 408 PS freisetzte und so den V12-Vorreiter BMW 750i mit "nur" 300 PS klar deklassierte. Auf der anderen Seite setzten die Schwaben sparsame Dieselmotoren in der Luxusklasse als adäquaten Antrieb durch. Auch beim Fahrstabilitätsprogramm ESP, Navigationssystem, Sprach-Bedienung und Notrufsystem oder künftigem autonomem Fahren leistete die S-Klasse (W 140) eindrucksvolle Pionierarbeit. Mercedes wusste eben, was die Welt wollte: Ein Spitzenmodell für Selbstfahrer und eine ruhige Lounge für die Reichen und Mächtigen auf den Fond-Fauteuils. Deshalb führte die S-Klasse ihr Segment ungeachtet aller Kritik an.

Mercedes S-Klasse W140 1991 Foto: Daimler
Der neue "Big-Benz" erschien passgenau zum Ende der bürgerlich-kleinen Bonner Republik.

Der neue Big-Benz erschien passgenau zum Ende der bürgerlich-kleinen Bonner Republik und zum Umzugsbeschluss des deutschen Bundestags nach Berlin, wo die S-Klasse ungeachtet vereinzelter automobiler Konkurrenz aus Ingolstadt und München wieder die Fahrzeugkolonnen der politischen Prominenz prägen sollte. Das mediale Geschrei, dass die Baureihe W 140 nicht auf den Autozug nach Sylt passe oder ob die kolossal wirkende Karosse wirklich nur mit Hilfe ausfahrbarer Peilstäbe am Heck in Parklücken zu manövrieren sei, interessierte Helmut Kohl in seiner neuen Kanzler-S-Klasse ebenso wenig wie die anderen treuen S-Klasse-Kunden, also vor allem Vorstände, Freiberufler oder Prominente aus Film- und Showbusiness.

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Acht Zylinder für den Kanzler

Für die Konkurrenz Audi V8, BMW 7er, Lexus LS und Jaguar XJ waren es keine guten Nachrichten: Die bis dahin größte und nobelste S-Klasse schoss 1991 sofort an die Spitze des Segments. So wurden schon in den ersten neun Monaten nach Markstart über 48.000 Sonderklasse-Limousinen ausgeliefert, während BMW im ganzen Jahr 1991 nur noch 35.000 Einheiten des von der Presse zunächst so hochgelobten 7ers verkaufte. Im Folgejahr fertigte Mercedes bereits 72.000 Einheiten seines Flaggschiffs, BMW lediglich 31.000 Exemplare des 7er.

Mercedes S600 Pullmann W140 1995 Foto: Daimler
Auch eine Pullman-Variante gab es vom W 140.

Hierzulande zollte das Publikum dem pompösen, später sogar als 6,21 Meter lange Pullman-Staatslimousine lieferbaren größten Mercedes also Applaus in Form einer Flut von Bestellungen. Im ersten vollen Verkaufsjahr registrierte die Neuzulassungsstatistik rund 22.000 S-Klasse-Limousinen gegenüber nur 15.000 Einheiten des 7ers und gerade vierstelligen Werten der anderen Verfolger. Damals hatte der rund 200.000 Mark teure Mercedes (das entsprach 50 Prozent Aufpreis gegenüber dem Münchner V12) kleine, sogenannte Kinderkrankheiten wie vereinzelt auftretende Windgeräusche durch unebene Dichtungen an den neuartigen, doppelverglasten Türen längst abgelegt. Stattdessen setzte er Maßstäbe durch das breiteste Motorenprogramm in der Oberklasse. Beim ersten Sechszylinder-Diesel für die Oberklasse, 150 PS stark, begann die Leistungsleiter. Sie führte über den billigsten Benziner 300 SE 2.8 mit 193 PS und den 286 PS freisetzenden Einstiegs-V8 im 400 SE bis zum V12 im 600er und endete erst bei Kleinserien vom Haustuner AMG, etwa mit 470 PS kräftigem 7,1-Liter-V12. Zur Einordnung: Nicht einmal der Ferrari Testarossa bot so viele Cavalli unter der Haube. Noch exklusiver war nur das aufsehenerregende S-Klasse-Landaulet, das 1997 an Papst Johannes Paul II las "Firmenwagen" übergeben wurde.

Auch die Tür des heute global größten Luxusmarktes öffnete der W 140: Im November 1997 wurde das 400.000ste Exemplar, ein S 600 L, nach China ausgeliefert. Zwar endete die Fertigung der Baureihe offiziell im September 1998, aber Technologien wie das in 500-SEL-Prototypen erfolgreich erprobte autonome Fahren wiesen weit ins neue Jahrtausend. Und dann gab es noch das 2002 realisierte Revival der ultraluxuriösen Riesenlimousinen von Maybach: Deren Entwicklung wurde durch den S 600 L Pullman forciert. Heute zählt der W 140 zu den besonders gesuchten neuen H-Kennzeichen-Kandidaten, hat sich doch die Bestandszahl des robusten Langstreckenläufers hierzulande drastisch reduziert. Der Grund? Sehr viele Gebrauchtwagen fanden Fans in Russland und Südosteuropa.

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