Autohandel Gekauft wie gegoogelt

Foto: Daimler AG - Global Communicatio

Vor dem Autokauf sind Kunden heute vernetzt und informiert wie nie. Der Erstkontakt findet nicht mehr im Autohaus statt. Für den Handel hat die Digitalisierung gravierende Folgen.

Fachkräftemangel, Rabattschlachten, demografischer Wandel – ein Autohändler hat es nicht einfach in diesen Zeiten. Hinter der derzeit dunkelsten Wolke am Horizont aber verbirgt sich der Begriff Digitalisierung. Ob sie Ursache oder Folge eines geänderten Kaufverhaltens ist, darüber streiten sich die Konsumforscher.

Unstrittig aber ist, dass klassische Vertriebsstrategien Auslaufmodelle sind. "Durch das Internet kommen die Kunden heute wesentlich besser informiert zum Händler. Und verbringen wesentlich weniger Zeit bei ihm", konstatiert Jörg ­Hönemann, Unternehmensberater und Automotive-Experte bei Ernst & Young.

Händler müssen Internet in traditionelle Vertriebskanäle integrieren

Die Online-Präsenz der Händler sei daher ein wesentlicher Ansatzpunkt. Sie müsse optimal gestaltet sein und in die traditionellen Vertriebskanäle integriert werden. »Dabei hilft, dass der Autohandel wesentlich mehr Wissen über seine Kunden in Erfahrung bringen kann als früher. Wir alle sind doch heute bereit, im Internet umfangreiche Informationen über uns preiszugeben.

Doch auch der gläserne Kunde muss erst mal in den Laden kommen. Die Unternehmensberatung Capgemini hat für die Studie »Cars Online 2014« in zehn Ländern 10.000 Konsumenten befragt. Die Ergebnisse sind alarmierend, zumindest für jene Händler, die weiter auf die frühere Dreifaltigkeit setzen: Autohausbesuch, Probefahrt, Vertragsunterschrift. Fast alle Befragten gaben an, sich vor dem Kauf als Erstes im Internet zu informieren. Etwa drei Viertel lassen sich von Nutzerkommentaren in Foren, Blogs oder Social-Media-Plattformen beeinflussen. Bei den 18- bis 34-Jährigen sind es sogar 91 Prozent.

Hinzu kommt ein geändertes Mobilitätsverhalten. Claudia Crummenerl, Automotive-Expertin bei Cap­gemini, erkennt in den ausgewerteten Ergebnissen eine weitere Gefahr: "Die Probefahrt vor Ort ist bislang einer der größten Angebotsvorteile, die der Händler bieten kann. Wir wissen aber, dass zwei Drittel aller Kaufinteressenten über Alter­nativen nachdenken. Ein Auto lässt sich auch Probe fahren via Carsharing oder bei Mietwagenfirmen."

Für die Autohändler also heißt das: rein in die sozialen Netzwerke, das Marken­erlebnis im Autohaus ausbauen, den ­eigenen Internetauftritt besser positionieren. Klingt gebetsmühlenartig, ist aber längst überfällig. Es geht nicht nur um den Preis, Kunden wollen zielgerichtete Informationen. Für Gewerbetreibende oder Dienstwagenfahrer sind das Aspekte wie der eines ausstattungs-abhängigen, geldwerten Vorteils oder der des Restwerts. Informationen, die ein Händler im Idealfall seinen Kunden selbst vorab zur Verfügung stellt. Online, rund um die Uhr – eben dann, wann der Kunde Zeit dafür hat. Das schafft Vertrauen in die Servicequalität eines Autohauses.

Am Auto selbst dagegen lässt sich kaum mehr was verdienen. "Allein die Quersubventionierung des ­Neuwagengeschäfts durch den After-Sales-Bereich hat bislang bei den meisten Fabrikaten in Deutschland den vollständigen Zusammenbruch der Vertriebssysteme verhindert", konstatiert Professor Dr. Willi Diez. Er ist Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) an der Hochschule Nürtingen. Das IFA hat in einer von Dekra in Auftrag gegebenen Studie ("Evolution oder Revolution – Neue ­Geschäftsmodelle im Automobilhandel") prognostiziert, dass sich die Zahl der wirtschaftlich und rechtlich selbstständigen Automobilhändler in den kommenden elf Jahren um fast die ­Hälfte reduzieren wird. Zurzeit gibt es noch 7.850 Autohandelsunternehmen in Deutschland. Für das Jahr 2025 rechnen die IFA-Forscher mit 4.250.

Enge Vernetzung zwischen Hersteller und Händler

Die verbleibenden Händler brauchen die Hilfe der Autohersteller. Unter anderem schlägt die Studie das Modell eines "integrierten Vertriebs" vor. Es basiert auf ­einer engen Vernetzung zwischen dem Hersteller und seinen Händlern. Der Autobauer übernimmt dann eine Mitverantwortung dafür, dass Renditeziele erreicht werden. "Das trägt der Tatsache Rechnung, dass sich der Erstkontakt mit dem Kunden immer stärker weg vom Autohaus und hin zum Hersteller selbst, etwa auf dessen Website, verlagert", so Diez.

Also muss der Händler in der Lage sein, sich früher in den Prozess einzubinden. Das Auto von heute, das "Connected Car", ist schließlich vernetzt und digi­talisiert wie kein anderes Hochpreis­produkt. Diejenigen, die es verkaufen, sind es offenbar noch nicht.