Chinesen im NCAP-Sternenregen Sicher ist sicher

Maxis Mifa 9 2023 Foto: EuroNCAP

Für Autos aus China sind fünf Sterne bei EuroNCAP mittlerweile Standard geworden. Dabei scheiterten sie einst kläglich an dieser Hürde. Doch Erfahrung macht klug.

Es ist noch nicht lange her, da waren Autos aus China sicherheitstechnisch ihren Konkurrenten aus Europa weit unterlegen. Doch in erstaunlich kurzer Zeit haben die Chinesen aus der Not eine Tugend gemacht. Allein dieses Jahr absolvierten etliche neue Autos aus Fernost mit Erfolg das EuroNCAP-Prozedere. Der entsprechende Sternenregen dürfte ein wichtiger Schlüssel sein, chinesischen Autoherstellern den erfolgreichen Zugang auch zum europäischen Markt zu sichern.

Bereits vor fast 20 Jahren keimte in China der Wunsch auf, Autos in Europa zu verkaufen. In der Rückschau muten diese ersten Vorstöße jedoch stümperhaft an. Die China-Kracher der Nullerjahre waren günstig, doch bei Technik, Qualität und Design fuhren sie meilenweit hinterher. Ein schockierendes Beispiel war der dreiste X5-Klon Shuanghuan CEO, der mit wenigen Kilometern auf der Uhr bereits massive Qualitätsschwächen offenbarte. Doch vor allem das schlechte Abschneiden der ersten Chinesen bei Crashtests hat sich ins Gedächtnis deutscher Kunden gebrannt. ADAC und später EuroNCAP deckten dabei große Defizite auf. Auch aufgrund der großen medialen Verbreitung der wenig schmeichelhaften Resultate machten Autokäufer fortan einen großen Bogen um die exotischen Neuankömmlinge. Die Importeure gingen reihenweise in die Insolvenz, die chinesischen Automarken verschwanden in der Versenkung. Doch dieses Scheitern war nur ein Auftakt, der in China den Ehrgeiz entfachte, es besser zu machen. Das scheint endgültig gelungen, wie die jüngere Vergangenheit zeigt. Beeindruckend ist dabei, in welchem Tempo dieses Ziel erreicht wurde.

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Zu den frühen China-Newcomern gehörte das große SUV-Modell Jiangling Landwind, dem der ADAC 2005 ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellte. Bei den Crashtests im Technikzentrum in Landsberg war die Fahrgastzelle beim Frontalaufprall mit 64 km/h regelrecht zusammengebrochen. Ein Fahrer, so das Urteil, hätte diese Situation nicht überlebt. Sicherheitstechnisch war das Fahrzeug nach Meinung der ADAC-Experten 30 bis 40 Jahre hinter dem damaligen Standard.

Vielversprechender schien der Start der Marke Brilliance, die bei der Entwicklung ihrer Autos unter anderem auf Knowhow des Joint-Venture-Partners BMW setzten konnte. Doch als 2007 mit dem BS6 das erste Modell nach Deutschland kam, stellte sich Ernüchterung ein. Der ADAC kaufte eines der ersten angelandeten Exemplare, um es seinem Crashprozedere zu unterziehen – mit vernichtendem Urteil. Vom Automobilclub gab es damals nur einen Stern. Allerdings räumten die Technikexperten des Clubs damals ein, dass bei einer technischen Optimierung des BS6 zwei oder drei Sterne erreichbar wären. Das Potenzial für ein Fünf-Sterne-Ergebnis sei hingegen nicht erkennbar gewesen.

2010 kehrte der Name Landwind in die Schlagzeilen zurück, als der Familien-Van CV9 im Namen, der zu dieser Zeit bedeutender werdenden Organisation EuroNCAP gegen die Wand gefahren wurde. Eine Katastrophe wie 2005 wiederholte sich nicht, wenngleich das Ergebnis mit lediglich zwei Sternen längst noch kein Ruhmesblatt war. Doch der Crashtest dokumentierte zugleich einen positiven Entwicklungsschritt. Massive strukturelle Schwächen wie 2005 zeigten sich bei diesem Landwind nicht mehr. Das relativ schlechte Ergebnis war vor allem der ausbaufähigen Sicherheitsausstattung geschuldet, denn ESP und Seitenairbags fehlten. Der holländische Importeur wertete das damalige Ergebnis als positiv, handelte es sich doch um das erste chinesische Auto, dass das EuroNCAP-Prozedere bestanden hat. Der CV9 markierte noch nicht den Durchbruch, doch er war ein Achtungserfolg, was unter anderem dem Umstand geschuldet war, dass der Van nach Aussage des Importeurs in großen Teilen in und außerdem für Europa entwickelt wurde.

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Was sich im Fall des CV9 andeutete: Europäische Expertise war der Schlüssel zum schnellen Crashtest-Erfolg. Den hatte die 2007 als chinesisch-israelisches Joint-Venture gegründete Automarke Qoros bereits fest im Blick. Qoros sollte in China als Premiumhersteller antreten, der seine Fahrzeuge zugleich in Europa vertreibt. Zu diesem Zweck eröffnete der neue Player in München ein Designzentrum, während europäische Zulieferer wie Magna Steyr für die technische Entwicklung verantwortlich zeichneten. Erstes Modell war die Limousine Qoros 3, die nicht nur bei Design und Innenraumqualität hiesige Autokenner überzeugte, sondern 2013 außerdem für den Durchbruch bei EuroNCAP sorgte: Als erstes Auto aus China konnte der Viertürer fünf Sterne einfahren. Trotz dieses Erfolgs blieb Qoros auf den europäischen Märkten nur eine Randnotiz, was allerdings anderen Gründen als einem Mangel an Sicherheit geschuldet war.

Das Beispiel Qoros zeigte vor allem: Werden Fahrzeuge mit Blick auf die Anforderungen von EuroNCAP entwickelt, sind chinesische Autohersteller in der Lage, diese Hürde auch mit Bravour zu nehmen. Wohl auch deshalb hat das chinesische EuroNCAP-Pendant C-NCAP, welches 2006 ins Leben gerufen wurde, die Anforderungen im Testprozedere schrittweise an das europäische Vorbild angepasst. 2012 wurde zum Beispiel für den Frontalcrash mit Überlappung die Aufprallgeschwindigkeit von 56 auf 64 km/h angehoben. Zugleich wurde in China mit CIDAS ein Kooperationsprojekt nach dem Vorbild der deutschen GIDAS ins Leben gerufen, mit dem Ziel, über die methodische Erforschung von realem Unfallgeschehen und Crashversuchen wichtige Erkenntnisse zur Optimierung der Fahrzeugsicherheit zu gewinnen. Statt sich nur an den Standards aus Europa oder USA zu orientieren, um so die Akzeptanz ihrer Autos auf den internationalen Märkten zu steigern, hat China sein NCAP-System zugleich schnell emanzipiert. Mit "C-NCAP 2018" wurden neue, eigene und weiterreichende Kriterien eingeführt, die auch dazu dienen sollten, Herstellern aus Fernost eine globale Führerschaft bei der Fahrzeugsicherheit zu sichern.

Diesem Ziel scheint man mittlerweile sehr nahe zu sein, denn Autos aus China sind bei der Sicherheit auf Topniveau angelangt, wie sich in jüngerer Vergangenheit bereits etliche Male gezeigt hat. Allein dieses Jahr hat EuroNCAP die Ergebnisse von 9 neuen Chinesen veröffentlicht, die durchweg und zudem noch souverän fünf Sterne einfahren konnten. Mit der maximalen Anzahl wurden Ora Funky Cat, Nio ET7, Smart #1, Chery Omoda5, Maxus Mifa 9, MG4 oder Wey Coffee 01 und 02 dekoriert. Und alle genannten Modelle sind oder werden zeitnah in Deutschland verfügbar sein. Wie erfolgreich sie sich verkaufen, bleibt abzuwarten. Ein Debakel wie in den Nullerjahren dürfte sich für diese Newcomer nicht wiederholen.

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