Mercedes-Benz Sprinter 208 D und 314 CDI Test: alt gegen neu

Markus Bauer, Ralf Wackes Foto: Thomas Küppers 12 Bilder

Vor 25 Jahren revolutionierte Mercedes die Transporterbranche. firmenauto vergleicht den ersten Sprinter mit dem aktuellen Modell.

Haste mal ’nen Sprinter? Die Frage wird täglich unzählige Male gestellt in Deutschland. Doch die Antwort muss nicht zwingend einen Stern am Kühlergrill tragen. Tatsächlich hat der Mercedes-Benz Sprinter – seit er 1995 aus dem Ei geschlüpft ist – eine ganze Fahrzeugklasse definiert. Die zeitgenössischen Kollegen waren hellauf begeistert bei der ersten Ausfahrt mit dem auf den ersten Blick auch heute noch halbwegs modern anmutenden Ur-Sprinter. Er sei schnell, leise und sparsam, attestierte Frank Hausmann damals dem Neuen mit Stern. Zum Test angetreten war allerdings der potente Fünfzylinder OM 602: 2,9 Liter, Turbo und satte 122 PS und 280 Nm. Unser Veteran lässt es mit seinem OM 601 ein wenig gemächlicher angehen. 601, diese Zahl stand im Jahr 1995 für vier Zylinder, immerhin 2,2 Liter, 79 PS und 152 Nm – und kein Turbo.

Dämpfer und Schraubenfeder am Motorblock

Der Diesel ist noch ein Aggregat der alten Schule. Das Attribut „leise“ ist darum so eine Sache, vor allem, wenn man dem alten Recken in der Ochsenwanger Steige mehr als 40 km/h abgewinnen will und die vollen 79 Pferde bei 3.800 Umdrehungen abruft – unbeladen, versteht sich. Damit sich die Vibrationen des Saugdiesels im Rahmen halten, hat Daimler damals einen Dämpfer samt kleiner Schraubenfeder an den Motorblock gehängt. Das ändert aber nichts daran, dass Sprinter-Neulinge nach dem obligatorischen Vorglühen gewarnt sein müssen: Niemals im Leerlauf starten! Dann schlägt der Schalthebel nämlich über Gebühr aus. Wir wussten das natürlich – Knie alle heil.

Vergleich Mercedes-Benz Sprinter 208 D vs. Mercedes-Benz Sprinter 314 CDI Foto: Thomas Küppers
Mechanischer Schlüssel hier Elektronikwunder dort. Immerhin: Ein Notschlüssel ist integriert.

Das Aggregat erweckt der Fahrer noch mit einem Schlüssel zum Leben, der diesen Namen zu Recht trägt. Und auch sonst herrscht gute alte Hemdsärmeligkeit im Innenraum. Optisch lassen die 1990er grüßen. Der typische Grauton des Kunststoffs kontrastiert mit farbenfrohen Sitzbezügen. Damals hat man sich noch was getraut! Der Rest ist zwar nüchtern, aber sehr durchdacht. Der Name „Handschuhfach“ ist restlos untertrieben. Hier ist ordentlich Platz, und drei Stellplätze für Kaffee oder Tee gibt’s obendrein. Bordwerkzeug und Verbandskasten sind leicht zugänglich im Beifahrerfußraum und in der Tür untergebracht. Nichts zu meckern. Dazu kommen klar gezeichnete Instrumente, allerdings mit großer Uhr statt Drehzahlmesser. Bei hoher Drehzahl schreit der Vierzylinder ohnehin so, dass man auch ohne Anzeige beschließt, ihn nicht weiter quälen zu wollen. So lässt das Gewissen im fünften Gang nicht mehr als eigentlich auch ausreichende 120 Sachen zu.

Wenig Helferlein im Ur-Sprinter

Eine lobende Erwähnung verdienen die Scheibenbremsen ringsum. Der Druckpunkt ist zwar nicht mehr ganz up to date, sie packen dennoch zu, wenn Not am Mann ist. ABS ist natürlich auch an Bord. Das war es allerdings auch in diesem Kapitel. An mehr Helferlein war damals einfach noch nicht zu denken. So schafft es der kleine Diesel auch in engen Serpentinen, die Hinterräder ein bisschen zum Durchdrehen zu bringen. Bis ein System wie ESP aus der S-Klasse in die günstigere Baureihe einzog, sollte es noch ein paar Jahre dauern. Allerdings ist der minimale Heckschwenk dank des soliden Fahrwerks spielend leicht zu parieren. Biomechanisches ESP sozusagen. Und auch die Spiegelverstellung erfolgt nach diesem Prinzip.

Doch genug der Nostalgie. Neben dem kanarienvogelgelben T1N wartet schließlich bereits der innen wie außen gediegener gefärbte VS30. LED-Scheinwerfer, hübsche Alufelgen, Parkpiepser, Rückfahrkamera – das können Oberklasse-Pkw heutzutage auch nicht wirklich besser. Die Spiegel sind selbstredend elektrisch einstellbar. Ein zusätzliches Weitwinkelelement verbessert den Überblick noch einmal. Eigentlich fehlen also nur noch Parksensoren an den Fahrzeugflanken zum Glück.

Foto: Thomas Küppers
Die Motorhaube des neuen Sprinter fällt flacher und bauchiger aus.

Andere Zeiten, andere Sitten

Exterieur abgehakt, wie sieht es unter der Haube aus? Erst einmal vermisst man das einrastende Scharnier des alten Sprinter. Im neuen will ein Stützstab ausgeklappt und eingehängt werden. Andere Zeiten, andere Sitten. Die neuen Sitten herrschen dann aber auch in Sachen Selbstzünder. Wie im T1N schiebt zwar ein Vierzylinder-Diesel die Fuhre an. Von dem sieht man allerdings erst mal nicht mehr als eine schwarze Plastikabdeckung. Dafür ist sonnenklar, wo Adblue – neumodischer Kram – und Wischflüssigkeit einzufüllen sind. Tief unten im Maschinenraum erspäht man dann das Kraftpaket. Der OM 651 hat zwar nur gut 2,1 Liter Hubraum, stemmt dank Turbo und moderner Technik dafür 143 PS (ebenfalls bei 3.800 Umdrehungen) und satte 330 Nm. Auf der Schwäbischen Alb lächelt der Enkel also bestenfalls über die Schinderei, die sich der Opa antun muss, und tuckert im Standgas hinterher. Entspannt geht es eh zu. Schließlich hat der Neue gleich vier Gänge mehr, automatisch eingelegt und mit den Vorderrädern verbunden. Dazu gibt es den vollen Bauchladen, der sich mit ESP darstellen lässt, bis hin zum Seitenwind-Assi. Sehr kommod!

Das Adjektiv beschreibt auch den Innenraum bestens. Im Neuen geht es zudem ein wenig heimeliger zu. Genug Platz ist auch dort. Allerdings wirkt alles etwas mehr dem Fahrer zugewandt, angefangen bei den Sitzen mit mehr Seitenhalt und der deutlich höheren Fensterlinie.

"Hey Mercedes, ich habe Hunger!"

Einen Zündschlüssel im klassischen Sinne gibt es nicht mehr. Der Handschmeichler kann getrost in der Hosentasche bleiben. Gestartet wird per Knopfdruck. Das Motorgeräusch ist akustisch eher Nebensache. Zunächst hat aber eh der Sehsinn zu tun. Vor der Nase erstrahlt ein kleineres Display zwischen den Instrumenten. Rechter Hand breitet sich das üppige MBUX aus, das auch über Touchflächen am Lenkrad bedient werden kann. Optisch gibt es einen kleinen Flashback in die 80er und 90er. Sieht das nicht aus wie ein Gettoblaster? Kann aber viel mehr. Zum Beispiel reden und verstehen. „Hey, Mercedes, ich habe Hunger.“ Und schon zeigt „Mercedes“ den Weg zum nächsten Wirtshaus. Auch das ist S-Klasse-Niveau.

Einmal in Fahrt zieht sich diese Anmutung im Prinzip durch. Kein hemdsärmeliges Arbeitstier mehr wie der Urahn. Stattdessen fährt sich der Sprinter heutzutage wie ein Pkw. Genug Leistung, um mit dem Verkehr nicht nur mitzuschwimmen, hat er in der Hinterhand, wohldosiert über die Neungangautomatik mit Lenkradschaltung. Die größte Herausforderung an Bord des neuen Sprinter ist, sich trotzdem immer der Dimension bewusst zu sein. Der Opa kann also durchaus stolz sein auf seinen Nachkommen. Evolution geglückt.

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