Mobility as a Service (MAAS) Wie sich Hersteller zu Dienstleistern wandeln

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Carsharing, Ride-Hailing, Mieträder: Autokonzerne haben Mobilitätsdienstleistungen als neuen Geschäftszweig entdeckt. Die Potenziale sind riesig, die Hürden allerdings auch.

Feierabend, schnell was einkaufen und dann nach Hause. Geht mit dem eigenen Auto. Geht aber auch anders. Nämlich dann, wenn man Mobilität nach Bedarf einkauft wie später im Supermarkt die Wurst. Das Prinzip dieser Mobility-as-a-Service-Bewegung: die Bündelung verschiedener Fortbewegungsmöglichkeiten wie Bus, Bahn, Carsharing, Fahrrad oder Taxi. Von A nach B kommen, ohne ein eigenes Transportmittel zu besitzen, lautet das Credo der Nutzer. Oder ein solches Transportmittel vorhalten, um es mit anderen zu teilen, so die Anbietersicht. Mobilität wird also zur Dienstleistung.

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Womit klar ist: Mit Fahrzeughersteller, Mobilitätsanbieter und IT-Branche wachsen gleich mehrere Wirtschaftszweige zusammen. Intelligenter soll’s werden, vor allem aber vernetzt. Elektrifizierte und automatisiert fahrende Fortbewegungsmittel sind dafür prädestiniert. Kein Wunder also, dass mittlerweile auf vielen Fachkongressen der IT-Branche die Crème de la Crème der Automobilindustrie anzutreffen ist. So präsentierte ZF heuer auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas einen fahrerlosen Minibus. Bosch war ebenfalls am Start, und auch Audi, BMW, Mercedes, Toyota, Ford und Hyundai zeigten Fahrzeugstudien oder bereits Erhältliches aus dem Regal mit der Aufschrift "digital und netzwerkfähig". Das Auto wird demnach auch in Zukunft eine große Rolle spielen. Nur nicht mehr als Eigentum, sondern als Nutzobjekt. So wie man einen Zug oder Bus besteigt, ohne ihn gleich zu kaufen.

Alle Mobilitätsformen in nur einer App

Der Daimler-Konzern ist längst auf dem Feld der MAAS-Akteure unterwegs, seit 2015 unter dem Namen Moovel. Künftig heißt das Angebot Reach Now, nachdem Daimler seine MAAS-Aktivitäten mit denen von BMW vereint hat (siehe Infokasten). Daimler bringt in dieses Joint Venture 6,2 Millionen Kunden weltweit ein, die offenbar genau das umtreibt, was

Geschäftsführerin Daniela Gerd tom Markotten auf der letzten Digital Mobility Conference (DMCO) in Berlin erklärte: "Es gibt ja schon viele neue Mobilitätsangebote, da kann man schon mal überfordert sein. Am Ende habe ich 25 Apps von 25 Anbietern, wie bringe ich das zusammen?"

BMW Group und Daimler AG bündeln Services für urbane Mobilität
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ÖPNV, Carsharing oder doch das Taxi? In der Reach-Now-App finden Dienstreisende das schnellste Verkehrsmittel zum gewünschten Ziel.

Das Angebot: alles integriert in einer App. Die zeigt zunächst einmal an, welches Verkehrsmittel das schnellste für die gerade anstehende Fahrt ist. Und welches das kostengünstigste. Berechnet werden Kombinationen verschiedener Anbieter wie Bahn, Taxiunternehmer, Busbetreiber, Carsharer oder Fahrradverleiher vor Ort. "Die Bucher zahlen mit einem einzigen Account und müssen sich nicht mehr bei den einzelnen Mobilitätsanbietern anmelden", so Gerd tom Markotten. "Unser Anspruch ist, dass wir für den innerstädtischen Verkehr keinen Privat-Pkw mehr brauchen." Das funktioniere dann, wenn dem Kunden der Umstieg so leicht wie möglich gemacht werde, "mit Pay-as-you-go-­Angeboten zum Beispiel. Ich fahre einfach los, und im ­Nachgang berechnet mir das System dann den günstigsten Tarif." Ebenfalls möglich seien Subskriptionsmodelle, etwa ein Flatrate-Angebot, oder Zusatzleistungen wie gratis ­Bikesharing.

Mobilitätsdienste kurbeln Konzerngewinne an

Glaubt man den Prognosen der Boston Consulting Group, so wird sich das Kerngeschäft der Autobauer in den kom­menden Jahren deutlich verschieben. Stehen der Verkauf von Autos und das zugehörige Aftersales-Geschäft derzeit noch für 99 Prozent der Gewinne, werden es nach Berechnungen der Unternehmensberatung im Jahr 2035 nur noch 60 Prozent sein. Die restlichen 40 Prozent streichen die Konzerne mit ihren Mobilitätsdiensten ein.

MAAS macht deutlich, dass sich die Gewichtung der Marktteilnehmer verschiebt. Dem IT-Branchenverband Bitkom ist das Thema so wichtig, dass es einen eigenen Bereich Mobility gibt. Dessen Leiter Mario Sela ist überzeugt, dass MAAS keine vorübergehende Modeerscheinung ist, sondern die Verkehrswelt nachhaltig verändern kann. "Technologisch gesehen, was beispielsweise alternative Antriebe angeht, sind Automobilindustrie und Energiewirtschaft schon weiter, als man denken mag." Auch die derzeitige Diskussion über die notwendige Infrastruktur für solche Angebote müsse differenzierter geführt werden. "Viele Funktionalitäten eines MAAS-Angebots lassen sich schon mit den vorhandenen Mobilfunkstandards sicherstellen. Reden wir allerdings über eine künftige Integration voll automatisierter, fahrerloser Fahrzeuge, dann ist der 5G-Standard aus heutiger Sicht unabdingbar", so Sela.

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Das aber dürfte nicht die größte Hürde sein, die es zu überwinden gilt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Mobilitätsdienste hinken gerade in Deutschland der Entwicklung hinterher. Sela wird konkret: "Das betrifft sowohl den freien Marktzugang von Mobilitätsanbietern als auch eine dringend notwendige Anpassung des Personenbeförderungsgesetzes. Dies ist eine Voraussetzung für Ride-Sharing-Angebote." Der Mobilitätsexperte sieht allerdings auch Chancen für eine größere Bedeutung des Verkehrsangebots in öffentlicher Hand. "MAAS soll den ÖPNV nicht schwächen oder mit ihm konkurrieren. Im Gegenteil, der ÖPNV muss zentraler Bestandteil sein und damit selbst davon profitieren."

Geldwerter Vorteil bei MAAS noch ungeklärt

Das alles klingt gut, zumindest solange sich das Leben im urbanen Umfeld abspielt. Denn genau das ist der Hauptkritikpunkt: MAAS ist nur etwas für die Stadt, auf dem Land fehlt schlicht die Balance zwischen Angebot und Nachfrage. Spannend wird zudem sein, wie sich die steuerliche Handhabe solcher Mobilitäts­konzepte zukünftig gestalten wird, sofern Mitarbeiter anstatt eines Dienstwagens ein Budget in Anspruch nehmen. Vor allem, wenn daraus bei ­privaten Fahrten – Stichwort Arbeitsweg – ein geldwerter Vorteil gezogen wird. Darüber ­hinaus ist noch nicht abzusehen, wie sich arbeitsrechtliche Datenschutzregeln, etwa zu Bewegungsprofilen von Mitarbeitern, mit betrieblicher MAAS-Nutzung in Einklang bringen lassen. Auf Juristen, Steuer­experten und Datenschützer kommt vermutlich viel Arbeit zu. Auf die Gesellschaft aber die Frage, was sie in Sachen Mobilität eigentlich will. Alles wie immer? Oder alles auf Anfang?

Begriffserklärungen

  • On demand ("auf Abruf, auf Abfrage")
    Soll ausdrücken, dass sich ein Fortbewegungsmittel in dem Moment nutzen lässt, in dem es gebraucht wird, also ohne Vorlauf- und Planungszeit.
  • Bikesharing ("Fahrrad teilen")
    Ist ein Synonym für ein Fahrradverleihsystem. Funk­tioniert ähnlich wie Carsharing entweder stations­gebunden (das Rad muss an einer der in der City verteilten Anbieterstationen zurückgegeben werden) oder stationsungebunden.
  • Ride-Sharing ("Fahrt teilen")
    Damit sind Fahrgemeinschaften mit einem privaten Pkw gemeint. Die Fahrtkosten werden anschließend geteilt oder anteilig dem Fahrzeugbesitzer gezahlt. Rechtlich immer noch schwierig bleibt die Abgrenzung zum Taxi.
  • Ride-Hailing ("Fahrt herbeirufen")
    Bezeichnet im Grunde das Taxigewerbe und erinnert an Zeiten, in denen Droschken am Straßenrand herbeige­rufen wurden. Heute geschieht das überwiegend tele­fonisch oder über Apps.
  • Ride-Pooling ("Fahrt bündeln")
    Versuch, die Fahrgäste in Gruppen zu bündeln, sodass ihre individuellen Routen mit einer Fahrt bedient werden können. Die Mitfahrer nehmen dabei Umwege in Kauf. Beispiel: Shuttle-Rundfahrten zwischen Messe­hallen oder Rufbussysteme.
BMW Group und Daimler AG bündeln Services für urbane Mobilität

BMW Group and Daimler AG combine services for urban mobility Foto: Daimler
Share Now heißt der neue Carsharing-Dienst, in dem BMW und Daimler ihre Angebote zusammenlegen.

Ungewohnte Allianz

Der Mobilitätswandel schafft neue Allianzen. Zumindest in Sachen MAAS arbeiten Daimler und BMW eng zusammen. So eng, dass es zu einem Joint ­Venture reicht – basierend auf Teilen der jeweiligen Mobilitätsstrategie abseits des Autobaus. Beide Unternehmen wollen ihre Bereiche Carsharing, Ride-­Hailing, Parking, Charging und Multimodalität zusammenführen. Die wirtschaftlich größte Bedeutung hatte dabei aus Sicht der EU-Wettbewerbshüter wohl der Bereich Carsharing mit den bislang getrennt geführten Angeboten Car2go (Daimler) und Drive Now (BMW) mit schätzungsweise mehr als 20.000 Fahrzeugen weltweit. Um kartellrechtlich grünes Licht zu erhalten, mussten beide Unternehmen Zugeständnisse machen. So etwa, dass auch andere Anbieter Zugang zur künftigen gemeinsamen Mobilitäts-App erhalten.

Drei Fragen an …

Mario Sela, Bereichsleiter Mobility beim Branchenverband Bitkom, über die Strategien hinter MAAS.

Mario Sela (c) Bitkom Foto: Bitkom
Mario Sela, Bereichsleiter Mobility beim Branchenverband Bitkom.
Worum geht es bei MAAS genau?

"Ganz einfach: Der Nutzer steht im Fokus. Er muss entscheiden können, wo und wann er welche Angebote nutzen möchte. Und zwar nicht nur vorausplanend, sondern auch situationsbezogen in dem Augenblick, in dem der Bedarf anfällt."

Dazu bedarf es aber einiger Mitwirkender …

"Klar, denn ein MAAS-Angebot ist immer plattformgestützt. Auf dieser Plattform sind die Angebote verschiedener Mobilitätsdienste miteinander verknüpft, sodass man seine Fahrt auch mit mehreren Transportmitteln über eine einzige App planen, buchen und bezahlen kann."

Bringt der MAAS-Gedanke also die Verkehrswende?

"Jedenfalls ist der vielleicht interessanteste Punkt aus ökologischer und verkehrspolitischer Sicht: Wer MAAS-Angebote nutzt, kann womöglich auf ein eigenes Fahrzeug komplett verzichten."