Die meisten Arbeitswege werden mit dem Auto zurückgelegt. Das betriebliche Mobilitätsmanagement von Boehringer Ingelheim will das ändern.
Jeder fünfte Kilometer ist ein Arbeitsweg. 63 Prozent der Pendlerverkehre werden mit dem Auto zurückgelegt. Wie die Belegschaft zur Arbeit kommt, macht in der Klimabilanz von Unternehmen einen erheblichen Teil der Emissionen aus. Längst beschränken sich Flottenmanager nicht mehr auf die Frage "Dienstwagen ja oder nein?". Mobilitätsangebote von Unternehmen werden zunehmend multimodaler. Die Palette der Möglichkeiten reicht vom Dienstrad über Carsharing und Fahrgemeinschaften bis Jobticket und Mobilitätsbudget. Welche Lösungen am besten sind und als erstes umgesetzt werden sollten, wird für viele Unternehmen zur Gretchenfrage. Denn: Das Angebot allein reicht nicht, die Mitarbeitenden müssen es auch annehmen.
Beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim setzt das Mobilitätsmanagement deshalb auf einen Perspektivenwechsel. "Um betriebliche Mobilität maßgeschneidert zur entwickeln, müssen wir weg vom angebotsorientierten Denken, hin zu einem besseren Verständnis des Bedarfs", sagt Klaus Bockius, Head of Mobility Solutions & Services. Am Anfang aller Planungen müsse deshalb eine zentrale Frage stehen: "Wie kommen unsere Beschäftigten zur Arbeit und was könnte sie dazu bewegen, sich für eine umweltfreundlichere Alternative zum Auto zu entscheiden?"
Um das herauszufinden, befragte das Unternehmen alle Mitarbeiter im Jahr 2020 detailliert zu Wohnort, Arbeitszeiten, zurückgelegten Entfernungen, bevorzugten Verkehrsmitteln. "Wir wollten aber auch wissen, ob es Fahrgemeinschaften gibt oder ob die Mitarbeitenden gern welche bilden würden, ob sie unterjährig ihr Verkehrsmittel wechseln, ob die Parkplätze ausreichen, was sie davon abhält, mit Bus und Bahn oder mit Fahrrad zu fahren, was sie sich wünschen und wo sie Verbesserungspotenzial sehen", erklärt Melanie Schmahl, Teamleiterin Fleet Management Germany. Allein am Standort Ingelheim haben sich von rund 9.000 Beschäftigten über 5.000 an der Umfrage zum Pendlerverkehr beteiligt. "Für uns ein klares Indiz, wie groß das Interesse am Thema ist", so Bockius.
Die Bedarfsermittlung offenbart nicht nur die Mobilitätsanforderungen der Beschäftigten, sie zeigt auch, wo wie viele Mitarbeitende wohnen. Die detaillierte Datengrundlage hilft bei Gesprächen mit Stadtverwaltungen und mit ÖPNV-Anbietern. Sie liefert Argumente für dichtere Taktungen, veränderte Linienführung oder die Radwegeplanung. "Unsere Erfahrung ist, dass man dort höchst dankbar dafür ist, wenn man mit konkreten Zahlen aufwarten kann", berichtet Bockius.
Am Standort Biberach führte das dazu, dass eine Buslinie um zwei Ortschaften verlängert und zudem dichter getaktet wurde, um den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen. Ein weiteres Ergebnis: Die von vielen Beschäftigten genutzte Bahnlinie führt zwar am Werk vorbei, der nächste Bahnhof liegt aber gut ein Kilometer weg. "2025 wird es eine neue Haltestelle direkt am Werk geben", berichtet Schmahl. Das verkürzt den Arbeitsweg für die Bahnfahrenden um gut 20 Minuten.
In Ingelheim kam heraus, dass mehr Beschäftigte aufs Rad umsteigen würden, wäre die Anbindung ans Radwegenetz besser. Jetzt spricht das Unternehmen mit der Stadt über eine direktere Streckenführung und baut einen ehemaligen Zugang zum Werksgelände zur Fahrradschleuse um.
All das sind Einzelmaßnahmen. Doch sie helfen, das Thema greifbar zu machen und Impulse zu setzen. "Wir nutzen zum Beispiel unser Intranet, um die Belegschaft über neue Angebote zu informieren", sagt Schmahl. Verzeichnet werde zum Beispiel, wo sich Duschräume befinden, damit der Umstieg auf das Fahrrad attraktiver wird. Informiert werde aber auch über geänderte Fahrpläne und dichtere Taktungen von Bus und Bahn.
Die Veränderung der Mobilitätsroutinen kommt in kleinen Schritten. "Wir dürfen nicht erwarten, dass morgen jeder mit dem Fahrrad ins Werk kommt", sagt Bockius. Nicht alle Ideen erweisen sich als praktikabel, nicht alle Angebote als umsetzbar. Ziel des Mobilitätsmanagement sei vielmehr, ganzheitlich auf die Arbeits- und Dienstwege der Beschäftigten zu blicken und Machbarkeiten auszuloten. Knapp die Hälfte aller Befragten am Standort Ingelheim haben Kinder im Haushalt. "Da sind Flexibilität und Zeitgewinne ein starkes Argument, um Mobilitätsroutinen zu verändern", so Bockius. "Am Ende des Tages bekommen wir zufriedene Mitarbeitende, die ohne Stress zur Arbeit kommen. Und das zahlt auch auf die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber und das Nachhaltigkeitsengagement für die Region ein."
Wer ist Boehringer Ingelheim?
Das weltweit aktive Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim unterhält vier Standorte in Deutschland. Rund 10 Prozent der rund 1.600 Flottenfahrzeuge und 13 Prozent der Transporter sind Stromer. Zusätzlich gibt es Carsharing für Dienstreisende sowie Poolfahrzeuge für Dienstfahrten und Werksfahrräder. An drei der Standorte ist das Unternehmen vom ADFC als fahrradfreundlicher Arbeitgeber zertifiziert.
Rad statt Auto
Auf Strecken von bis zu 7,9 km ist man mit dem E-Bike und bei Strecken von bis zu 5,5 km mit dem Fahrrad immer schneller als mit allen anderen Verkehrsmitteln, hat das Umweltbundesamt ermittelt. In urbanen Räumen ließen sich bis zu 30 Prozent der Pkw-Fahrten aufs Rad verlagern, schätzen die Experten.