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Polestar 2 im Fahrbericht Das Beste aus zwei Welten

Polestar 2 2021 Foto: Istvan Csiszar 23 Bilder

Was kommt heraus, wenn chinesisches Elektro-Know-how auf schwedische Automobilerfahrung trifft? Ein Tesla-Jäger. Erste Ausfahrt im Polestar 2.

Schon komisch: Volvo riegelt Neuwagen bei 180 km/h ab, aber das E-Auto Polestar fährt 205. Will die Volvo-Tochter hier etwa gegenüber Tesla ein Zeichen setzen? Denn der Name fällt öfters, wenn man sich mit den Leuten von Polestar unterhält.

Auch das Vertriebsmodell ähnelt dem der Amerikaner. Wie bei Tesla gibt’s keine klassischen Händlerbetriebe. Stattdessen sollen schicke Showrooms, sogenannte Polestar Spaces, an belebten Punkten in sieben Großstädten Interessenten locken. Konfigurieren und bestellen müssen die Käufer ihr Auto allerdings online. Verhandlungsspielraum? Zero. Rabatte sind nicht vorgesehen, auch nicht für Großkunden. Allerdings soll der Polestar bei allen gängigen Leasinggesellschaften gelistet werden. „Wenn dann die Raten nicht zu den üblichen Konditionen passen, können wir nochmals darüber reden“, verspricht Vertriebschef Alex Han.

Doch was genau steckt hinter der Marke? Polestar soll für Volvo werden, was Lexus für Toyota, Infiniti für Nissan oder Genesis für Hyundai ist: ein Premium-Ableger. Nur, dass sich die Marke ausschließlich auf E-Fahrzeuge konzentriert. Entwickelt und gebaut werden sie in China beim Mutterkonzern Geely, der unterm Blech das eigene Elektroauto-Know-how mit der fast 100jährigen Automobilerfahrung von Volvo verschmilzt.

Das erste Modell, den 130.000 Euro teuren (alle Preise netto) und über 600 PS starken Plug-in Hybriden Polestar 1, haken wir als Exoten ab. Doch mit dem Polestar 2 hat die Volvo-Tochter Größeres vor. Mindestens 1.000 Stück sollen dieses Jahr verkauft werden, nächstes Jahr plant Vertriebsleiter Han bereits fünfstellig. „Und wir können innerhalb von drei bis vier Monaten liefern.“

Die Rahmenbedingungen für die Einführung der 4,60 Meter langen Mittelklasse-Limousine sind gut, denn der Umweltbonus beschert allen Herstellern einen Run auf ihre E-Autos. Ab 48.650 Euro gibt’s den China-Schweden, mit allem Drum und Dran. Und davon gehen 7.500 Euro Umweltprämie ab. Beim Preis orientiert sich der Stromer also auch an Tesla, kostet nur minimal mehr als die Long-Range-Version des Model 3.

Polestar 2 2019 Foto: Polestar
Auf Wunsch gibt's den Polestar 2 mit einem Sportfahrwerk von Öhlins

Gleiches trifft auf die Leistung zu: Zwei je 204 PS starke E-Motoren katapultieren die allradgetriebene Limousine in nur 4,5 Sekunden über die 100-km/h-Marke, schnipsen den Wagen im Null-Komma-Nix an allen anderen Autos vorbei. Dabei fährt der Polestar mit einer Leichtigkeit und federt mit einer Eleganz, die im Gegensatz zum deutlich härteren Tesla Model 3 Lust auf lange Strecken machen. Was angesichts des 78-kWh-Akkus und versprochenen 470 Kilometern Reichweite kein Problem darstellen sollte.

Und die Optik? Scharf, aber nicht überzogen: coupéhaft von der Seite und leicht SUVig von hinten. Innen treffen offenporiges Holz und warme Stoffe auf kühles Metall. Dazu kommen gestochen scharfe Digitalanzeigen und ein großer Touchscreen im Hochformat. Während sich Tesla seinen minimalistischen Innenraum mit einem eher undurchsichtigen Bordmenü erkauft, erschließt sich hier die Bedienung weitgehend von selbst.

Tesla Model 3 (2019) im Test
Wie ist die Reichweite?

Was auch am Betriebssystem von Google liegt, das Polestar als erste Marke verwendet. So fassen Kacheln auf dem großen Bildschirm die Untermenüs zusammen, der Aufbau ähnelt dem bei Volvo. Allerdings kann man den Bildschirm getrost vergessen, denn es genügt, mit dem Auto zu reden. „Sitzheizung an“, „suche einen Bäcker“ - auf unserer kurzen Testrunde verstand die Sprachsteuerung auf Anhieb alle Befehle. Konzipiert als offenes System, können sich die Entwickler jederzeit einloggen, Anwendungen „over the air“ aktualisieren oder neue Apps entwickeln. Immer vorausgesetzt, der Nutzer hat sich mit seinem Konto bei Google angemeldet und bezahlt mit seinen Daten. Fraglich, ob das jeder Kunde will.

Foto: BERNHARD_LIMBERGER
Großer Touchscreen, einfache Menüführung.

Gibt’s auch was zu meckern? Nach der ersten kurzen Proberunde wenig. Vielleicht, dass kein Ladekabel mit Kombistecker Typ 2 und Schuko geliefert wird und man zwei Kabel spazieren fährt. Und dass es hinten doch ein wenig beengt zugeht. Wer einen kompakten Familientransporter will, muss dann eben auf den elektrischen Volvo XC40 warten. Der nutzt zumindest die gleiche Plattform.