Als erster für alle fünf Kontinente konzipierter Renault wagte der R12 vor 50 Jahren, was sich bis dahin kein Europäer zutraute: Mit moderner Technik und frecher Formensprache aufstrebende Märkte zu erobern.
Ende der 60er Jahre reiste der typische deutsche Außendienstler im Opel Kadett oder VW Käfer von Kunde zu Kunde. Auf der anderen Seite des Rheins machte sich dieser Renault auf, die Welt zu erobern. Aber obwohl der Renault 12 eine Zeitenwende im französischen Automobilbau einläutete, machte das Debüt der unkonventionellen Stufenhecklimousine kaum Schlagzeilen. Die Grand Nation beschäftigte sich damals mehr mit Prestigeprojekten wie dem Erstflug des Überschalljets Concorde, neuen Hochgeschwindigkeitszügen und dem wirtschaftlichen Modernisierungsprogramm des gerade gewählten Präsidenten Georges Pompidou, das auf ein Ende der vielen Streikwellen hoffen ließ. Vielleicht fehlte es dem neuen Renault 12 an Sensationswert, weil er nach den avantgardistischen Renault 4 und 16 mit Frontantrieb und Heckklappe auf den ersten Blick überraschend pragmatisch und unspektakulär wirkte. Tatsächlich aber stand der 4,34 Meter lange Renault 12 für den Beginn einer neuen Ära, denn dieser 1,3-Liter-Vierzylinder mit Frontantrieb schickte die Heckmotor-Veteranen R8 und R10 in den Ruhestand. Zudem revitalisierte der R12 die für Frankreich so typische Karosserieform des klassischen Familienkombis, die es bei Renault zehn Jahre lang nicht gegeben hatte.
Vor allem jedoch legte der fast vier Jahrzehnte lang gebaute Renault 12 das Fundament für die spätere Renault-Tochter Dacia und das moderne Weltauto im Multi-Marken-Branding, das auf allen Kontinenten reüssiert. Sogar Ford bediente sich in Südamerika der Renault-12-Architektur und auf australischen Wüstenpisten oder afrikanischen Rüttelstrecken bewährte sich die ebenso robuste wie zukunftsgewandte gallische Frontantriebskonstruktion besser als die meisten etablierten Modelle mit Hinterradantrieb.
Nie zuvor war ein europäisches Modell von der ersten Designskizze an so nachhaltig auf die Rolle eines Welteroberers vorbereitet worden wie der Renault 12. Für die Formen zeichnete Robert Broyer verantwortlich, der die viertürige Limousine in ungewöhnlichen Linien entwarf mit nach hinten ansteigender Dachlinie und steil abfallendem Fahrzeugheck. Trotzdem bot der Kofferraum 420 Liter Volumen und damit mehr Größe als die Konkurrenten Peugeot 204 oder Fiat 124. Schon die ersten Prototypen unterstrichen die Bedeutung der Exportmärkte mit schwierigen Straßenverhältnissen für das neue Modell. Zeigten sich die Studien doch mit zusätzlichem Reserverad auf der Kofferraumklappe und mit einem asymmetrischen Kühlergrill, der Raum ließ für die ungewöhnliche Zahl von drei Hauptscheinwerfern - zwei davon zur strahlend hellen Ausleuchtung des rechten Straßen- oder Pistenrands. Diese einzigartigen Ausstattungsattribute fielen aber vor Serienstart dem Rotstift zum Opfer, denn das neue Mittelklassemodell sollte bezahlbare Massenmobilität auch in aufstrebenden außereuropäischen Ländern ermöglichen.
Genau deshalb verfügte der Renault 12 über innovativen Frontantrieb, nicht aber über die Renault-typische Drehstabfederung und hintere Einzelradaufhängung. Stattdessen kamen zugunsten niedriger Produktionskosten Schraubenfedern an allen vier Rädern und eine hintere Starrachse zum Einsatz. Es war das richtige Technikpaket für den Renault 12, um sich gegen den härtesten globalen Rivalen durchzusetzen, den Fiat 124 mit Hinterradantrieb. Bei den Verhandlungen mit der Sowjetunion über den künftigen Lada hatte noch Fiat die Nase vorn, aber beim Vertragsabschluss mit dem rumänischen Staatsführer Nicolae Ceausescu um ein Volksauto für das in der Römerzeit Dakien genannte Land setzte sich Renault durch. Die neu gegründete Marke Dacia startete 1969 mit dem Renault 12 durch und baute bis 2006 rund 2,3 Millionen Einheiten des Franzosen, darunter auch ganz eigenständige Karosserievarianten wie Pick-ups, Coupés und fünftürige Schräghecklimousinen. In Südamerika ging die Renault-12-Plattform sogar als Ford Corcel in Serie. Denn Ford Brasilien entschied sich 1968 für die Übernahme des dortigen Renault-Lizenznehmers Willys-Overland, weil dieser den fast serienreifen R12 im Gepäck hatte.
In der Türkei avancierte Ovak-Renault mit dem R12, später auch Toros genannt, über drei Jahrzehnte zum härtesten Rivalen von Tofas, wo der Fiat 124 gefertigt wurde. Ähnliches wiederholte sich in Spanien. Dort wurde FASA-Renault mit den in Valladolid gebauten Limousinen und Kombis zum Herausforderer des Seat 124. In vielen afrikanischen Ländern waren französische Hersteller ohnehin traditionelle Marktführer, dennoch gelang dem Renault 12 in Rhodesien eine Überraschung. Versuchte doch dort GNW Duiker mit Renault-Komponenten ein erstes nationales Fahrzeug auf die Räder zu bringen, allerdings haperte es an der Finanzierung. Sogar den Australiern und Nordamerikanern machte der Renault 12 derart großen Appetit auf französischen Komfort zu kleinen Kosten, dass sich eine langjährige lokale Produktion lohnte.
Zurück nach Westeuropa, wo der Renault 12 als preiswerte Alternative antrat zu etablierten Deutschen wie Audi 60 und VW 1600, es aber auch mit der Mittelklasse der 1970er Jahre aufnahm, darunter Citroen GS, Ford Taunus/Cortina und Opel Ascona. Die deutsche Fachpresse war voll des Lobes über den gut ausgestatteten, sorgfältig verarbeiteten und flotten Franzosen. Dank aerodynamisch günstiger Form genügten dem 880 Kilogramm leichten Fünfsitzer 54 PS für 142 km/h Vmax, während etwa das Sportcoupé Ford Capri mit vergleichbarer Motorisierung nur 133 km/h schnell war. Fürs sportliche Image schob Renault Ende 1970 den R12 Gordini nach, der mit dem 1,6-Liter-Vierzylinder aus dem Renault 16 bestückt war und dank zweier Weber-Doppelvergaser bis 115 PS freisetzte. Genug Kraft für Tempo 185 und damit Attacken gegen VW-Porsche 914, BMW 2002 oder das Sechszylinder-Establishment.
Frech genug gekleidet für Provokationen war der Renault 12 Gordini jedenfalls, trug er doch statt konventioneller Stoßstangen lieber seitliche Rallyestreifen. Ernsthaften Motorsport gab es für den Gordini ebenfalls, denn mit einem Markenpokal förderte er den Nachwuchs für den Formel-Sport. Auch einen Konkurrenten für Ford Capri und Opel Manta gab es auf Basis des Renault 12. Gekleidet in extravagante Couture fuhr das viersitzige Sportcoupé-Duo Renault 15/17 im Herbst 1971 an die Startlinie und als der Renault 12 Gordini Ende 1974 aus dem Modellprogramm gestrichen wurde, übernahm der 108 PS starke Renault 17 Gordini die Funktion des Leistungsträgers.
Der große Sprung nach vorn in den deutschen Zulassungscharts gelang Renault schon vor Einführung dieser sportlichen Imageträger. Bereits 1969 konnte der französische Staatskonzern hierzulande 7,5 Prozent Marktanteil erringen und sich so erstmals auf Platz vier hinter VW, Opel und Ford positionieren. Auch in der DDR war der Renault 12 bald begehrt – unter Dacia-Label. Und in Frankreich verkaufte Renault von seinem Shootingstar ab 1970 jährlich weit über 200.000 Einheiten, genug um vorrübergehend Platz eins im nationalen Produktionsranking zu belegen. Regelmäßige kleine Facelifts hielten den Renault 12 über elf Jahre und vier Millionen Einheiten frisch, erst dann musste der Dauerläufer in Westeuropa dem Renault 18 weichen.
Chronik Renault 12:
1964: Entwicklungsstart für das Projekt 117, ein Mittelklassemodell mit Frontantrieb, das aber auch auf afrikanischen, südamerikanischen und australischen Pisten und Straßen reüssieren soll. Für das Design zeichnet Robert Broyer verantwortlich, der auf eine ungewöhnliche Linienführung setzt mit nach hinten ansteigender Dachlinie und krass abfallender Heckpartie. Bei den ersten Designmustern indizieren ein Reserverad auf dem Gepäckraumdeckel und drei Frontscheinwerfer (zwei zur hellen Ausleuchtung des rechten Straßenrands) den Einsatz auf Exportmärkten mit schwierigen Straßenverhältnissen
1965: Nicolae Ceausescu wird Staatsführer in Rumänien und strebt den Aufbau einer nationalen Automobilindustrie an. Verhandlungen mit dem französischen Staat und Renault führen zur Vereinbarung einer Lizenzproduktion des Renault 8 ab 1968 und des damals noch im Prototypenstadium befindlichen Renault 12 ab 1969
1968: Ford Brasilien übernimmt Willys-Overland, ein Unternehmen, das bis dahin mit Renault kooperierte und verschiedenen Renault-Modelle in Lizenz baute. Das Projekt eines brasilianischen Renault 12 geht nun auf im Ford Corcel, der das technische Konzept des Renault nutzt. Produktionsvorbereitung und Vorserie des Renault 12 in Frankreich
1969: Im August Großserienstart des Dacia 1300 als rumänischer Version des R12. Auf dem Pariser Salon feiert der Renault 12 seine Publikumspremiere. Im Unterschied zu den Modellen R4 und R16 verfügt der R12 über eine starre Hinterachse, die an Längslenkern und einem zentralen Dreieckslenker geführt wird
1970: Im April deutscher Vertriebsstart für den Renault 12. In Australien läuft die Montage des Renault 12 bei Renault Australia in Melbourne an und der Renault 12 gewinnt den Medienpreis "Australia’s Car of the Year". Auch in Neuseeland beginnt die Montage des Renault 12, wobei die Hälfte der Teile aus lokaler Herstellung kommen. Im November wird der Renault 12 Gordini vorgestellt, der den Renault 8 Gordini als motorsportlichen Leistungsträger im Zeichen des Rhombus ablöst. Für den Renault 12 Gordini wird ein eigener Markenpokal ausgeschrieben, der erst 1974 durch den Renault-5-Cup ersetzt wird. Aber auch auf Rallye- und Wüstenpisten sorgt der R12 Gordini für Aufsehen, absolviert er doch die afrikanische Fernfahrt von Kapstadt nach Algier am Mittelmeer in Rekordzeit
1971: Im Sommer debütieren die Coupés Renault 15/17, die beide die Technik des Renault 12 nutzen. In der Türkei beginnt die Lizenzmontage des Renault 12 bei Oyak Renault Otomobil in Bursa. Im Herbst ergänzt der Renault 12 Break (in Deutschland Variable genannt) das Portfolio. Für Frankreich gibt es überdies Transporter auf Basis des Break ohne hintere Verglasung und auch ohne Fondtüren. Zum Modelljahr 1972 wird der Renault 12 Gordini mit konventionellen Stoßstangen lieferbar. Der Renault 12 wird nach Nordamerika exportiert und zwar mit dem 1,6-Liter-Motor des Renault 16 (anfangs mit 66 PS, ab 1975 mit 73 PS). In Kanada erfolgt sogar zeitweise eine Montage in Saint-Bruno-de-Montarville, Quebec
1972: Im August debütiert der Renault 12 TS mit 60 PS Leistung sowie umfangreicherer Serienausstattung, dazu als äußerliche Merkmale seitliche Zierleisten, Sportfelgen und Halogenscheinwerfer. Das Fiberglas-Fahrzeug GNW Duiker basiert auf dem Renault 12 und geht in Rhodesien als erstes nationales Automobil in Produktion. Allerdings endet die Fertigung bald, da die vorfinanzierenden Banken ihre Unterstützung verweigern
1973: Der Renault 12 TS ist ab Februar auch in Deutschland bestellbar. In Rumänien ist der Dacia nun auch als Kombi erhältlich, außerdem gibt es den Dacia 1301 als Parallelmodell zum R12 TS speziell für Behörden. In Kolumbien beginnt die Montage des R12 bei Renault Sofasa, dies auch mit zugelieferten Teilen aus Argentinien. Dort erfolgt die Renault-12-Fertigung im Werk Santa Isabel. In Venezuela baut das Werk Mariara den Renault und in Chile übernimmt das Werk Los Andes die Fertigung. Mexiko wird mit Ciudad Sahagún Produktionsstandort sowie Portugal mit Guarda
1974: Nach 5.188 Einheiten endet die Produktion des Gordini. Ab März ergänzt der Renault 12 TR mit Dreigang-Automatik und dem 60-PS-Motors des TS das Angebot. Im Juli Detailmodifikationen wie Entfall der Radkappen. Neu ist der Renault 12 TS Variable
1975: Im August wird der Renault 12 mit Facelift vorgestellt, erkennbar an neu gestalteten Stoßfängern, Scheinwerfern und modifiziertem Heck sowie neuer Armaturentafel. Neu ist außerdem die Basisversion Renault 12 L mit 50-PS-Motor für preiswerteres Normalbenzin
1976: Ab Juli Feinschliff an der Ausstattung, so sind nun Automatik-Sicherheitsgurte vorne serienmäßig
1978: Der Renault 18 wird vorgestellt als designierter Nachfolger des Renault 12. Der australische Renault 12 erhält im Mai eine Modellpflege, erkennbar an Doppelscheinwerfern, und wird unter dem Namen Renault Virage bis 1980 gebaut. Letzte Detailmodifikationen für die in Frankreich gebauten Renault 12, der Break bzw. Variable ist nur noch als TS lieferbar. Ein Renault 12 aus argentinischer Fertigung gewinnt unter dem Fahrer-Duo Jorge Recalde und Jorge Baruscotti die 1,6-Liter-Klasse bei der South America Marathon Rally
1979: Im Frühjahr endet der Export des Renault 12 nach Deutschland nach 132.000 Einheiten. Produktionsende für die Coupés Renault 15/17, die vom neu vorgestellten Renault Fuego ersetzt werden
1980: Im Januar Produktionsende für den Renault 12 in Frankreich nach 4.013.209 Einheiten
1985: Neu ist das Dacia 1410 Sport Coupé
1987: Dacia baut das Produktportfolio aus und führt den Dacia 1320 als fünftürige Schräghecklimousine ein, außerdem folgt ein Coupé. Schon seit 1975 gibt es Pick-ups mit Einzel- und Doppelkabinen sowie 4x2- und 4x4-Versionen
1989: Facelift für den türkischen Renault 12, der fortan als Renault 12 Toros vertrieben wird
1994: Nach rund 450.000 Einheiten läuft der Renault 12 in Argentinien aus
1998: Letzte große Überarbeitung für den Dacia 1300/1310 mit neuer Front- und Heckgestaltung
2003: Produktionsauslauf für den Renault 12 Toros in der Türkei
2004: Im Juli endet die Produktion der auf dem R12 basierenden Dacia-Limousinen nach 1.959.730 Fahrzeugen
2006: Am 8. Dezember endet die Fertigung der Dacia Pick-ups nach 318.969 Einheiten und damit verabschiedet sich das letzte Derivat des Renault 12
2019: Renault würdigt das 50-Jahre-Jubiläum des Erfolgsmodells und die Clubszene plant entsprechende Fantreffen
Motorisierungen Renault 12:
Renault 12 L/TL (ab 1969) mit 1,3-Liter-Vierzylinder (54 PS), Vmax 142 Km/h
Renault 12 Gordini (ab 1970) mit 1,6-Liter-Vierzylinder (113 PS bzw. 115 PS), Vmax 185 km/h
Renault 12 TS (ab 1972) mit 1,3-Liter-Vierzylinder (60 PS), Vmax 150 km/h
Renault 12 TR Automatik (ab 1974) mit 1,3-Liter-Vierzylinder (60 PS), Vmax 145 km/h
Renault 12 L (ab 1975) mit 1,3-Liter-Vierzylinder (50 PS), Vmax 135 km/h