Ohne Tank- und Ladeinfrastruktur scheitert die Antriebswende. Nachdem Null-Emissions-Lkw zunehmend auf den Markt kommen, muss der Aufbau der nötigen Energieversorgung im selben Tempo erfolgen – so eine der zentralen Aussagen eines VDA-Medienworkshops.
Die Nutzfahrzeugmärkte bleiben weltweit angespannt. Die Corona-Lockdowns haben der Fahrzeugindustrie zu schaffen gemacht, der Krieg in der Ukraine hat die Situation weiter verschärft und zu bis dahin nicht gekannten Engpässen bei Rohmaterialien und Zulieferteilen geführt. Energie ist knapp und teuer wie nie, was für den Verband der Automobilindustrie (VDA) eine noch schnellere Abkehr von den fossilen Brennstoffen erforderlich macht. „Der Transformationsmotor für mehr Klimaschutz darf trotz herausfordernder Zeiten nicht ins Stocken geraten“, erklärte VDA-Präsidentin Hildegard Müller am Dienstag in Frankfurt bei einem Workshop für Journalisten im Vorfeld der IAA Transportation. Die Messe findet mit verändertem Konzept von 20. bis 25. September in Hannover statt.
Müller: Klimaschutz und Wohlstand kein Widerspruch
Konkret fordert die VDA-Chefin, die Wind- und Solarenergie in Deutschland schnell und massiv auszubauen. Neben Ökostrom braucht es für sie aber auch grünen Wasserstoff. Um hier voranzukommen, brauche es mehr Tempo, schnellere Genehmigungsverfahren und deutlich höhere Investitionen. „Klimaschutz, Wachstum und Wohlstand sind kein Widerspruch“, betonte Müller.
Der Aufbau einer europäischen Ladeinfrastruktur müsse mit hoher Priorität angegangen werden, sagte Müller. Wichtig sei, dass für Lkw und Busse entlang der Fernverkehrsachsen Hochleistungsladepunkte aufgebaut würden. Hier sieht die Verbands-Chefin auch die EU in der Pflicht: Deutschland müsse sich bei der Kommission für einen ambitionierteren Entwurf der AFIR-Verordnung (Alternative Fuels Infrastructure Regulation) einsetzen, welche die Meilensteine beim Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur setzt. Und auch beim Aufbau eines Wasserstoff-Tankstellennetzes müssten 2027 bis 2035 deutliche Fortschritte erzielt werden – in diesem Zeitraum rechnet Müller mit einer Marktreife der Fahrzeuge aus hiesiger Herstellung.
Die Fahrzeugbauer bereiten sich entsprechend vor und nutzen die IAA, um ihre Lösungen für einen klimafreundlicheren Güterverkehr zu präsentieren. „Es ist das erste Mal, dass wir mehr Null-Emissions-Lkw als konventionelle Lkw ausstellen werden“, erklärte Karin Rådström, Vorstandsmitglied bei Daimler Truck und verantwortlich für die Marke Mercedes-Benz Lkw. Eines der Messe-Highlights ihres Unternehmens ist der eActros LongHaul, die Fernverkehrs-Variante des Verteiler-Lkw eActros, der seit Oktober in Wörth bereits als Serie vom Band läuft. Die Langstreckenvariante soll Reichweiten von bis zu 500 Kilometern ermöglichen und fit sein für die nächste Ladestufe, das Megawatt-Charging. „Auf der Fahrzeugseite sind wir gut aufgestellt“, sagte Rådström und mahnt wie Müller nun Fortschritte beim Aufbau der begleitenden Ladeinfrastruktur an.
Daimler, Volvo und Traton investieren gemeinsam
Daimler Truck, Volvo und Traton wollen hier ein Zeichen setzen und haben sich verpflichtet, gemeinsam 500 Millionen Euro für den Aufbau von Ladesäulen zu investieren, ein gemeinsames Unternehmen ist in Vorbereitung. Ihr Ziel ist es, innerhalb von fünf Jahren nach der Gründung des Joint Ventures mindestens 1.700 Ökostrom-Hochleistungsladestationen auf und in der Nähe von Autobahnen sowie an Logistikterminals und Verladestellen zu installieren und betreiben. Dass die Ladeinfrastruktur eine Hürde ist, hat der Mercedes-Benz Lkw-Chefin kürzlich ein Fahrevent zur Elektromobilität mit 750 Kunden in Wörth gezeigt, bei der es viele Fragen nicht nur zu den Fahrzeugen gab, sondern auch zur begleitenden Ladeinfrastruktur.
Neben grünem Strom und Wasserstoff braucht es aber auch synthetische Kraftstoffe. Ohne E-Fuels ließen sich die Klimaziele nicht erreichen, mahnte Iveco-Vorstandschef Gerrit Marx. Er hält es für möglich, dass die Fahrzeugbauer bis 2025 rund 250.000 Elektro-Lkw auf den Markt bringen. Angesichts eines Bestands von 2,5 Millionen Lkw in Europa reiche ein zehnprozentiger Anteil an Null-Emissions-Lkw aber nicht, um die Klimaziele zu erreichen. „Kein Weg führt an erneuerbaren Kraftstoffen vorbei“, betonte Marx.
Mit batterieelektrischen Lkw wird auch sein Unternehmen gemeinsam mit dem US-Partner Nikola zur IAA aufwarten. Die Unternehmen werden eine 4x2-Sattelzugmaschine (BEV) und eine komplett überarbeitete 6x2-Zugmaschine mit Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antrieb (FCEV) zeigen – beide für den europäischen Markt. Mitte nächsten Jahres sollen die BEV-Varianten zu den ersten Kunden rollen, Ende des Jahres die FCEV-Fahrzeuge. Der Hafen Hamburg bekommt schon im September die ersten BEV-Varianten des Nikola Tre – allerdings noch Fahrzeuge in US-Spezifikation mit langem Radstand. Dieses Fahrzeug können Interessenten bei Iveco und Nikola dann auch auf der IAA Transportation testen. Für Marx steht fest, dass der Auflieger dann voll beladen ist – es soll keine Schönwetterveranstaltung sein, sondern ein reales Einsatzszenario abbilden.
Die IAA Transportation
Auf der IAA Transportation von 20. bis 25. September in Hannover werden neben Nutzfahrzeugen auch erstmals Lösungen für die letzte Meile, darunter Lastenräder und Roboter, zu sehen sein. Auch sind Vertreter anderer Verkehrsträger – explizit der Schiene – willkommen. Die Messe solle zeigen dass die Verkehrsträger nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften, bekräftigte VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Die Messe steht unter dem Motto: „People and Goods on the Move” und legt einen größeren Fokus nicht mehr nur auf das Fahrzeug an sich, sondern auch auf die Megathemen Klimaneutralität und Technologie-Transformation. Zahlreiche neue Branchenplayer sind dabei – darunter Amazon Relay, CATL, Cellcentric, Einride, Nikola, Tevva oder Volta.
Geplant sind vier Thementage zur Zukunft der Logistik, letzten Meile, der Daten- und Ladeinfrastruktur und zum Kommunaltransport. Abgerundet wird das Ganze unter anderem durch Fahrevents und einen Experience Campus, auf dem unterschiedliche Best-Practice-Lösungen im Bereich der Tank- und Ladeinfrastruktur gezeigt werden. Das Kongressprogramm kann schon mit Top-Referenten aufwarten – unter anderem mit Deutsche Post-Chef Dr. Frank Appel, DB Cargo-Chefin Dr. Sigrid Nikutta und Lufthansa Cargo-Chefin Dorothea von Boxberg.
„Es sind anstrengende Zeiten für die Industrie“, räumte Jan Heckmann, Head of IAA beim VDA, ein. Ein Event, das die Industrie zusammenbringe, komme dennoch zur richtigen Zeit. „Wir sind zurück – endlich wieder live“, sagte er. Vor zwei Jahren musste der Verband die geplante Nutzfahrzeugmesse aufgrund der Corona-Pandemie absagen.