Mobilitätsforscher Alexander Rammert Mehr Mobilität, weniger Verkehr!

Alexander Rammert 2021 Foto: Alexander Rammert

Alexander Rammert bildet als Dozent an der TU Berlin den ­Nachwuchs in integrierter Verkehrsplanung aus. Seiner Meinung nach haben Mobilitätsmanager in Unternehmen mehr Aufgaben, als sich nur um den Fuhrpark zu kümmern.

Herr Rammert, was erforschen Sie in der integrierten Verkehrsplanung?

Da steht nicht der Verkehrsweg, sondern die Mobilität der Menschen im Zentrum. Daher haben wir Definitionen und Konzepte für eine einheitliche Gesprächsbasis entwickelt. Integrierte Verkehrsplanung besteht aus Infrastruktur in Form der bebauten Umwelt, aus dem Verkehr selbst, also der Bewegung, die auf der Infrastruktur stattfindet, und Mobilität. Mobilität ist daher die Summe der Ursachen, warum die Bewegung stattfindet. Sie beschreibt die Bedürfnisse der Menschen.

Und wie definiert man Mobilitäts­management?

Das beschreibt die zielorientierte Beeinflussung der individuellen Mobilität. Wenn man sich um Mobilität kümmern will, geht es aber eben gar nicht um den Verkehr oder die Verkehrsträger an sich, sondern um die Bedürfnisse der Menschen. Das eröffnet ganz neue Chancen der Gestaltung, ohne schon konkret über Verkehrsmittel zu sprechen.

Was sind dabei aktuell die größten Herausforderungen?

Das gesamte Verkehrswesen befindet sich seit einem knappen Jahrzehnt in der Transformation, selbst die Kanzlerin spricht mittlerweile von einer Verkehrswende. Da der Verkehr seit Jahren unverändert einer der größten CO2-Emittenten ist, findet eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Verkehrsplanung statt.

Geht es dabei nicht immer zuerst um die Menschen?

In dicht besiedelten Räumen spielt die soziale Frage eine immer größere Rolle, etwa hinsichtlich einer gerechten Verteilung von öffentlichem Raum. Und die Coronapandemie beschleunigt diese Veränderungen: Jetzt ist alles offen, Weichen können gestellt werden. Verkehrsthemen finden auf einmal in Wahlkämpfen statt, es werden normative Richtungsentscheidungen diskutiert, die uns alle betreffen, höhere Preise für Benzin, Verbot für Inlandsflüge beispielsweise. Verkehrs­planung im Jahr 2021 ist hoch­emotional.

Lesen Sie auch Dienstrad 2021 Unternehmensmobilität abseits vom Auto Immer mehr Diensträder Wann ist betriebliches Engagement im Jahre 2021 also erfolgreich? Wenn es Mobilität verhindert?

Gerade nicht. Deswegen ist es wichtig, Verkehr und damit die tatsächliche Ortsveränderung von der Mobilität als Möglichkeitsraum zu trennen. Verkehr sollte verringert werden, Mobilität erhöht. Sie entscheidet zum Beispiel darüber, wie das Bedürfnis zu arbeiten erfüllt wird – dafür kann ich entweder mit Verkehrsmitteln Verkehr erzeugen oder im Homeoffice arbeiten.

Wer ist verantwortlich dafür, dass Mobilität und Verkehr langfristig nachhaltiger werden?

Alle Akteure sollten einbezogen werden: die Politik, die finanzielle und gesetzliche Instrumente entwirft; die Planung in Form der öffentlichen Verwaltung, die sich mit lokalen Konzepten beschäftigt, und die Wirtschaft, die sich je nach ihrer verkehrsinduzierenden Wirkung mit der Planung unter den politischen Rahmenbedingungen abstimmt. Aber es gehört auch die Zivilgesellschaft dazu.

Lesen Sie auch DriveNow 2021 Carsharing Schnell die Welt retten? Haben Unternehmen mit Fuhrparks als Innovationstreiber einen entscheidenden Effekt auf die Klimaziele?

Innerhalb der Unternehmer- und Wirtschaftsblase herrscht tatsächlich oft Innovationsoptimismus. Aus wissenschaftlicher Sicht ist der bisherige Beitrag der betrieblichen Mobilität zur CO2-Reduzierung aber gleich null: Mit Blick auf die Zulassungszahlen und die CO2-Grenzwerte hat sich nicht wirklich etwas getan in den letzten Jahren, gerade im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn. Viele Rahmenbedingungen sind durch betriebliches Mobilitätsmanagement aber auch gar nicht beeinflussbar.

Sie meinen, es braucht mehr Regulationen für Unternehmen?

Restriktionen sind die einzige Option, wenn wir es wirklich ernst meinen mit den definierten Zielen. Wir brauchen eine Waffengleichheit für alle Unternehmen, also verbindliche CO2-Obergrenzen, genau wie die CO2-Flottengrenzen in der Automobilbranche. Innovative Unternehmen können so Nachhaltigkeit zum Wettbewerbsvorteil nutzen. Wir brauchen definierte Rahmenbedingungen und klare Ziele.

Das ist aber schwierig umzusetzen.

Da kommt die Innnovationskraft von Unternehmen ins Spiel. Ohne Rahmenbedingungen kommt es auf die Führungsebene an, ob sich ein Unternehmen nachhaltiges Mobilitätsmanagement leistet. Denn würde das tatsächlich so viel Kosten einsparen, wie branchenintern oft behauptet wird, wäre es in deutschen Unternehmen längst verbreiteter. In diesen Fällen zeigt uns der Markt, dass es wohl doch nicht so einfach ist mit einer nachhaltigen betrieblichen Mobilität.

Welche Rolle spielt der Firmenwagen dabei?

Das Bundesumweltamt hat ausgerechnet: Alleine die Aufhebung des Dienstwagenprivilegs in Form von Steuervorteilen und günstigen Leasing- und Finanzierungskonditionen in Kombination mit einem Tempolimit von 130 km/h auf der Autobahn genügt, um die kurzfristigen Klimaziele im Sektor Verkehr zu erreichen. Politisch ist das natürlich schwierig, in der Automobilindustrie hat sich eine gesamte Wirtschaft rund um den Dienstwagen aufgebaut. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, braucht es neben der restriktiven auch die angebotsorientierte Seite, man muss also auch Alternativen schaffen.

Kann sich jedes Unternehmen nachhaltige Mobilität leisten, bis es diese Alternativen gibt?

Nachhaltige Mobilitätsberater würden das bejahen, ich als Vertreter der Wissenschaft bin da nicht so optimistisch. Es gibt finanzielle und unternehmensinterne Hürden. Genau deswegen muss die Politik von außen Rahmen setzen. Aber auch ohne Rahmen ist wirtschaftliche und nachhaltige Mobilität möglich. Das bedeutet ja nicht, jedem Mitarbeiter ein Dienstrad zu bezahlen. Mobilitätsmanagement berücksichtigt die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigen und eröffnet neue Möglichkeiten; am Ende profitieren Unternehmen und Belegschaft gleichermaßen.

Was fällt bei diesem breiteren Verständnis denn noch unter Mobilität?

Mobilitätsmanager müssen sich mit viel mehr beschäftigen als mit Dienstwagen, etwa mit der Kinderbetreuung. Wer täglich viel Zeit auf der Fahrt zur Kita verliert, hat einen kleineren Möglichkeitsraum als mit einer Kinderbetreuung am Arbeitsplatz.

Also zählt auch die Möglichkeit, sich Pakete an den Arbeitsplatz liefern zu lassen, zum betrieblichen Mobilitätsmanagement?

Genau. Mobilität hat viel mit Zeitbudgets zu tun. Ein Pendler, der jeden Tag zwei Stunden unterwegs ist, zudem seine Kinder am Nachmittag chauffieren muss und sein Auto auch zum Einkaufen benötigt, erzeugt viel Verkehr. Er hat aber eine geringe Mobilität, weil er wenig Möglichkeiten hat, frei seinen Bedürfnissen nachzugehen. Das Automobil wird oft mit Freiheit und Mobilität gleichgesetzt, aber genau das Gegenteil ist der Fall.

Lesen Sie auch Solaris Krakau alternative Antriebe Bus ÖPNV Polen 2018 Dekra Mobilitätsberatung Mobilitätsmanagement in Unternehmen Das heißt, hier kommt das betriebliche Mobilitätsmanagement ins Spiel?

Ja, denn Mobilitätsmanagement versucht, die Mobilität zu erhöhen. Dazu gehören neben dem Dienstfahrrad auch Homeoffice oder flexible Arbeitszeiten. Mobilitätsbeauftragte müssen also zuerst die Bedürfnisse der Mitarbeiter erfragen. Warum braucht jemand ein Auto? Verkehr ist kein Bedürfnis, es ist ein Mittel zum Zweck. Wenn man diese Bedürfnisse versteht, kann man den Verkehr gestalten, bevor er entsteht.

Blicken Sie optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft der nachhaltigen Mobilität?

Die bundespolitischen Rahmenbedingungen müssen sich ändern, das braucht Zeit, die wir eigentlich nicht mehr haben. Aber wenn die Bundesebene nach der Wahl im September mitzieht, kann die Wende schnell kommen. In meinen Vorlesungen erlebe ich die nächste Generation und merke, dass ein Wandel im Denken stattfindet. Wenn diese jungen, progressiven Leute in die Arbeitswelt kommen, habe ich die Hoffnung, dass sich der Wandel im Verständnis auch in einem Wandel in der Praxis manifestiert.

Sie hoffen also auf einen Wahlsieg der Grünen?

Ein grüner oder ein SPD-Verkehrsminister würde der Verkehrswende guttun oder zumindest eine Veränderung des Status quo. Denn die Zahlen zeigen: Die aktuelle Regierung hat es jahrelang nicht geschafft, einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Österreich und Skandinavien etwa haben bewiesen, dass man in wenigen Jahren ganze Städte in lebensfreundliche Räume transformieren kann.

Zur Person

Verkehrsingenieur Alexander Rammert (32) erforscht an der TU Berlin neue Planungsinstrumente für Mobilität und unterrichtet in Grundlagen der Verkehrsplanung.